"Das Paradox"

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Das Leben ist voll davon und die Sozialen Medien sowieso, in den Aussagen wie im Verhalten. Gerade in der letzten Zeit und um den Jahreswechsel stolpere ich ständig darüber, in vielen Situationen und Befindlichkeiten. Ich frage mich, ob das zunimmt, oder ob man sich da zunehmend sensibilisiert. Einen Seismographen für Paradoxien ausbildet. Nach und nach. Ein Echolot für Widersprüchlichkeiten.

Ich schaue mir das also ein bisschen näher an und beginne mit dem Adjektiv: „paradox“. Ein schönes Wort, finde ich. Läuft gut durch den Mund. Galoppiert versammelt. Ich spreche es gern. Angenehm unmodisch. Ungewöhnlich. Man darf es nicht zu Tode reiten. Es würzt. Aber auch hier gilt, wie so oft und wie schon Christoph Martin Wieland in seinem Neujahrswunsch von 1774 notierte: „minder ist oft mehr“ - weniger ist mehr. Da hatte er unbedingt recht. Und damit sind wir genau genommen schon mittendrin.

Das Substantiv Paradox kennt man auch als Paradoxon oder als Paradoxie. Gibt es mehrere davon, heißen sie im Plural Paradoxien oder Paradoxa. Die Wurzeln liegen im Altgriechischen. Es ist ein Kind von „para“, was für ‚neben‘ steht, ‚außer‘ und ‚daran vorbei‘ sowie „doxa“, was soviel wie ‚Meinung‘ bedeutet, oder ‚Ansicht‘. Es geht um eine Aussage, die einen unlösbaren Widerspruch in sich trägt. Zumindest scheinbar.

Und es gibt ein wahres Panoptikum an Skurrilitäten unter den Paradoxa. Nehmen wir zum Beispiel die logischen wie das Lügnerparadox des Eubulides von Milet: „Dieser Satz ist falsch“. Er ist also wahr, wenn er falsch ist und falsch, wenn er wahr ist. Oder metaphysische Paradoxa wie die Frage nach Endlich- und Unendlichkeit. Wann hat das Universum angefangen zu existieren? Und die nur allzu menschliche Frage danach, was denn nun davor gewesen sei. Henne oder Ei. Zudem semantische Paradoxa und auch rhetorische. Letztere kennen wir unter anderem als Oxymoron. Was das schon wieder ist? Hier ein paar Beispiele:„Hassliebe“, „Eile mit Weile“, „Weniger ist mehr“ oder „Viva la muerte“ - es lebe der Tod!“

Da sind Paradoxien der Logik, der Philosophie und der Theologie. In der Mathematik und der Physik, der Astronomie, der Medizin und überhaupt in den Naturwissenschaften. In der Statistik, der Betriebs- und Volkswirtschaft und in allen politischen Systemen. Ideologische und psychologische, Paradoxien in der Ästhetik und nicht zuletzt auch in der Populärkultur. Ich erspare uns weitere Ausflüge in die Nische. Wer sich vertiefen mag, wird leicht fündig.

Ich mag die sprachlichen, rhetorischen Paradoxien. „Wenn jemand den Sinn des Lebens erklärte, hätte das Leben seinen Sinn bereits verloren.“ Großartig! „Die Ewigkeit ist lange, besonders gegen Ende hin.“ Wunderbar! Und es gibt so viel mehr. Überall tauchen sie auf. Paradoxa könnten glatt zum Hobby werden. 

Dieses hier hatte mich schon als Schüler begeistern können:
Um so mehr Käse da ist, desto mehr Löcher gibt es.
Und um so mehr Löcher es gibt, desto weniger Käse ist da.
Die logische Schlußfolgerung müsste demnach lauten:
Je mehr Käse, desto weniger Käse. Was natürlich Käse ist.

Und bei Sokrates paradoxem Aphorismus „Scio nescio - ich weiß, dass ich nichts weiß“ denke ich ganz bildungsbürgerlich an „meinen Goethe“ in der Untersekunda am Gymnasium. Der Faust als Zweifler. Noch immer höre ich den Mephisto hämisch lachen.

Die Wörterbücher bieten eine Menge Synonyme, die dem ganzen nur nahekommen, es aber kaum wirklich ersetzen können. Am besten gefällt mir da noch das altertümelnde „abersinnig“. Eine Vokabel, die ich nur zu gerne aus der Mottenkiste ans Licht zerren und entstauben möchte. Das passt. Das muss wieder in den Wortschatz. Ein echtes Schätzchen ist das, dieses „abersinnig“.

Was schon schwerer zu recherchieren ist, sind die Paradoxa der Liebe. Der Gefühle. Und gerade die sind uns doch allgegenwärtig, auch wenn man nicht so gerne darüber sprechen mag. Insbesondere über die, die sperrig sind, die weh tun und regelmäßig in die Magengrube fahren. Da fällt einem sofort der emotionale Supergau ein. Er stammt aus der Doppelbindungstheorie, der „Double-Bind-Kommunikation“. Der Anthropologe Gregory Bateson hat das in der Mitte des letzten Jahrhunderts in längeren Beziehungen erforscht, in denen solche Phänomene gehäuft auftreten. Da geht es um gemischte Signale und noch gemischtere Gefühle. Ein Partner sagt, dass er den anderen liebe. Das allerdings mit eingefrorener Mimik, monotoner Stimme, so emotions- wie empathiefrei. Ohne jede Körperlichkeit oder gar Zärtlichkeit. Das ist ein schlimmes Paradoxon. Eine Art Kaspar-Hauser-Experiment für die misratende Partnerschaft. Ganz subjektiv empfehle ich da ein zügiges abgrenzen und aussteigen. Mir persönlich ist kein Fall bekannt, in dem das gut gegangen wäre. Es sei denn, beide Partner haben diese Anlagen und Neigung wie Lust an Leid und Frust.

Wenn man es genau nimmt, sind beinahe alle Paradoxa in diesem Feld auf Kommunikationsdefizite zurückzuführen. Schlecht definierte Schnittstellen. Unsaubere Regeln, eine schludrige Grammatik. Auch das Schweigen selbst ist so ein Signal. Schlimm. Man ist wirklich gut beraten, darauf zu achten sich nicht den Teppich der Verständlichkeit unter den Füssen wegzuziehen. Signale sauber zu senden und zu empfangen. Paradoxe können echte Killer sein.

„Der Weg des Paradoxes ist der Weg zur Wahrheit. Um die Wirklichkeit zu prüfen, muß man sie auf dem Seil tanzen lassen.“ (Oscar Wilde)

Das stimmt. Wichtig aber bleibt, dass man die dann auch wirklich findet. Noch besser, wenn man sie erst gar nicht verliert, die Wahrheit. Auch und gerade die eigene.

„Du liebst mich? Warum ist es dann wie es ist?“ Der Klassiker.

Und einen hab ich noch:
Pinocchios Nase wächst bekanntlich genau dann, wenn er lügt. Was passiert aber, wenn er sagt „Meine Nase wächst gerade“? 

© 3. Februar 2015, Bruno Schulz