Ruhe in Frieden

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„Hodie mihi cras tibi“

"Heute kommt der Tod für mich, morgen für dich“. So liest es sich auf einer barocken Darstellung des Todes am Friedhofseingang zur Via Giulia in Rom. Und so wählte sich mein Vater seinen Grabspruch noch zu Lebzeiten.

Jetzt hat er es wahr gemacht. Plötzlich. Und ich fühle mich dabei ganz taub. „Der beste Tod ist der unerwartete“ soll Gaius Iulius Caesar gesagt haben. Einen Tag vor seiner Ermordung. Da hatte er sicher recht. Aber können solche Bonmots von Ewigkeitswert tatsächlich tröstlich sein? Vielleicht. Mein Vater ist "beim Rosenschneiden" tot umgefallen. So wünsche ich es meinen besten Freunden und auch mir selbst. Über den Zeitpunkt kann man streiten.

Am Vormittag ist er wie so oft durch seinen Wald gelaufen. Zwei Stunden vor seinem Tod haben wir noch telefoniert. Gelästert haben wir da wie alte Waschweiber, geschimpft wie die Rohrspatzen, das konnten wir gut. Trotz seiner dreiundachtzig Jahre, war er noch immer ganz weit vorne: geistreich, witzig und zugleich immer fähig zu erheblichen Boshaftigkeiten. Mit Horaz ließ er „lieber einen Freund sterben, als eine gute Pointe“. Ich bin unendlich dankbar für dieses Erbgut.

Mein Vater war ein großer Geist auf klassischer Heldenreise mit sehr schwerem, leidvollem Start, aber starken Prinzipien und einem Leben, fast ganz nach den eigenen Vorstellungen. Er hat sich nicht verbiegen lassen, hat seine Wurzeln nie verleugnet und die eigenen Ziele niemals aus den Augen verloren. Freundschaften waren ihm wichtig, er war verbindlich und unbedingt loyal.

Und er schaffte zeitlebens einigen Spagat: war begnadeter Altsprachler und zugleich Naturwissenchaftler, liebte die Literatur, Lyrik wie Prosa und war zudem verdammt trittsicher in Kunst und Kultur. Er wollte unterrichten. Zum großen Glück für alle hat er das gelassen, vor allem für ihn selbst. So war er eben Humanmediziner und Landarzt. Und schließlich Reisender. Fünfundzwanzig Jahre Ruhestand, der ihm die Bewegung verschaffte, die er sich ersehnte und die er verdiente. Auch in sich.

Wir hatten es sehr lange gar nicht leicht miteinander und doch war ich ihm immer zugetan. Es gab jede Menge Reibung, hartes Sparring, schnellen Schlagabtausch. Aktion. Reaktion. Irgendwann fanden wir unseren Frieden. Gut so. Und endlich Zeit für das Gespräch. Jetzt ist er weg und immer noch da.

„Quidquid agis“, hat er gesagt, „prudenter agas et respice finem“: was auch immer du tust, handle klug und berücksichtige das Ende. Das Zitat stammt aus der spätmittelalterlichen Exempelsammlung Gesta Romanorum und in direkter Linie aus Äsops Fabelsammlung. Ich versuche, das zu beherzigen.

Ruhe in Frieden.

Bruno SchulzComment