Reportagen aus der Hölle.

Ein zwanzig Jahre älterer Dealer aus dem Senegal, der säuft und zu Gewaltexzessen neigt, ist die anfänglich vorgebliche Idealbesetzung in der Vorstellungswelt einer jungen Belgierin für eine dampfende Romanze in ihrer Partyauszeit, die sie sich nach ihrer Ausbildung selbstattestiert wohlverdient im ach so hippen Berlin nimmt, wo sie scheinbar ihre kleinbürgerliche Existenz mal so richtig gegen den Strich bürsten mag. Ein stereotyper Entwurf, sedierend „innovativ“ für den Lebensabschnitt wohlstandsverwahrloster Verantwortungsverweigerer auf dem Weg ins Erwachsenendasein. Ich erspare uns an dieser Stelle jede weitere Küchentischpsychologie. Der Redaktion reicht es für ein tragisches Romeo- und Juliaformat zeitgemäßer Prägung und im Thread findet man die üblichen Kommentare zwischen rechtsidiotischer Hetze und salonlinks galoppierender Realitätsentfernung. Und dann sind da natürlich noch die Romatikexperten unter uns, die mir vielleicht deuten mögen, was man sich in einer solchen Verbindung nach dem leidenschaftlichen Fieber zu Beginn mit dem Geruch von Freiheit und Abenteuer noch so zu erzählen haben könnte: „Hallo Schatz, wie lief‘s denn heute so im Görli, hast Du heute wieder Suchtkranken mit Deiner Medizin Linderung verschaffen können oder hattest Du etwa Stress mit den Kollegen auf der Arbeit? Wie lieb, dass Du mir ein Veilchen mitbringst.“

Der gute Pape wird tot aufgefunden. Nachdem er einen Monat im Wasser gelegen hat. Wie es dazu kam, bleibt selbstverständlich spekulativ mit cachierten Vorwürfen. Dass die Wasserleiche eines ungemeldeten Zeitgenossen ohne Papiere aus einem kriminellem Milieu mit recht geringer Kooperationsbereitschaft und im Gegensatz zum Warenangebot ernüchternder Aufklärungsquote vielleicht nicht nur aus pathologischer Perspektive keine ideale Ausgangsbasis für eine erfolgversprechende Ermittlungsarbeit sein könnte, kommt dem angerührten Autoren und Nachbarschaftschronologen nicht in den Sinn. Dafür gibt es aber jede Menge Konjunktivitis und moralinsaures Gehabe post mortem. Eine ungelenk aufgesetzte Betroffenheitsspastik … Journalismus 2021.

Die Anmoderation des wichtigtuerischen Formats ist so albern konstruiert, dass sie körperliche Schmerzen bereitet, die musikalische Untermalung bewegt sich anregend zwischen Gedudel aus dem Supermarkt und der spärlichen Musifizierung eines Texaskunstfilms von Wim Wenders. Aber eigentlich trifft es das ja ganz gut: Gefühlsdiscount, die kleine Tragödie für zwischendurch. Ein Frühstückchen vom Deutschlandfunk Kultur, der das als „Zeigefingerreportage“ durchreicht. Der Autor kann es nicht lassen, seine Autorität und Expertise qua Kreuzberger Szeneadresse im Geschehensumfeld aufzustreichen und doch wie selbstverständlich eine Sozialisierung und Kollektivierung von Schuld und Verantwortung durchschmecken zu lassen.

Um vielleicht noch etwas eindeutiger zu werden: ich bin hinreichend empathisch, das traurige Schicksal des westafrikanischen Migranten zu bedauern, der durch jedes Raster gefallen zu sein scheint. Ich habe allerdings nur wenig Verständnis dafür, das im Nachgang zum Selbstzweck erkenntnisfrei zusammenzusetzen und hochzujazzen.

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Bruno SchulzComment