Iwwerzwerch

„Musst Du als so iwwerzwerch doherschreiwe?“ ist eine Frage im sprachlichen Lokalkolorit meiner geographischen Heimat, die mir in den vergangenen Jahren immer häufiger entgegenschlägt. Woran liegt das?

Das „Iwwerzwerch“ darin ist eine Vokabel, die viel weiter verbreitet zu sein scheint, als ich bislang annahm. Der knappe Googlecheck verrät einen zeitgleichen wie unverhandelbaren Anspruch auf Urheberschaft im Saarland, in der Pfalz, an der Mosel oder gar in Hessen und da werden das Naheland und Rheinhessen noch nicht einmal angesprochen. Wie lächerlich. Für alle, die diese Pretiose meines heimatlichen Dialektes trotz seiner erstaunlichen Verbreitung noch nicht kannten, sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich das Adverb und Adjektiv im ersten Angebot mit „übermütig“, „umständlich“ oder gar „verdreht“ ins Hochdeutsche übersetzen ließe. Gehen wir der Sache lieber auf den Grund:

Der Wortstamm "zwerch" oder auch "twerch" findet seine Wurzeln im Mittelhochdeutschen, im Althochdeutschen „twerah“ oder „dwerah“, und war einst ein vor allem im deutschen Süden geläufiges Synonym für „quer“, das sich inzwischen überall durchgesetzt hat. Völlig ausgestorben ist „zwerch“ allerdings auch im allgemeinen Sprachschatz noch immer nicht und hat beispielsweise im Kompositum „Zwerchfell“ für das griechische „Diaphragma“ bis heute überdauert, das jene „Querhaut“ beschreibt, die Brust- und Bauchhöhle von einander trennt, eigentlich eine kuppelförmige Muskelsehnenplatte, der wichtigste Atemmuskel und, ganz nebenbei schon für jeden herzhaften Lacher unverzichtbar ist. Der Volksmund liebt es eben schlicht.

Und da war da noch die Anekdote einer Kommilitonin, die eines morgens vor etwas mehr als 30 Jahren auf ihrem Weg zu unserer Alma Mater im Stadtbus ein schönes Missverständnis belauschen durfte. Eine ältere, kognitiv eingeschränkte Mitpassagierin entdeckte en passant das Straßenschild zur „Zwerchallee“. Die war zumindest damals sowas wie die „8 Mile“. Nur eben nicht in Detroit, aber in Mainz-Mombasa. Nicht alle Löcher in den Wänden hatten Fenster oder Türen. Manche waren einfach vernagelt. So wie der angejahrte, rustikalweibliche Fahrgast, die sich nicht entblöden mochte, coram publico offen und ehrlich zu statuieren: „Zwerchallee? Ich dacht‘ immer, Zwerch werd mit ‚g‘ geschriewe. Unn jetzt lern ich‘s mit ‚c‘ unn ‚h‘“.

Die einen stürzt es in schwere orthographische Lebenszweifel, den anderen ist es der beruhigende Beleg, dass „zwerch“ während der bedauernswerterweise anhaltenden chronischen Verschlankung unserer einstmals so schönen Sprache ihre Nischen zur längeren Überwinterung gefunden zu haben scheint.

Die Zwerchaxt, das Zwerchdach, den Zwerchgiebel und das Zwerchhaus will ich wenigstens anführen, das Ausführen lasse ich gemeinsinnig an dieser Stelle außen vor.

Zurück zu „quer“ (nicht queer!), das inzwischen beinahe komplett kaputt-„quergedacht“ wurde. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, sich wieder vermehrt auf „zwerch“ zu besinnen, das neben den eingänglichen Übersetzungen auch für so schöne Begriffe steht wie „abersinnig“, „widerborstig“, „aufsässig“, „unangepasst“ oder „garstig“, „unbequem“, „unlenkbar“, „nonkonformistisch“, „subversiv“. Grundsätzlich alles sehr sympathisch.

Und „iwwerzwerch“? Entspricht möglicherweise dem heute geläufigeren „überquer“, „überquer sein“, mit irgendjemandem oder irgendwas. Egal. Hauptsache entgegen Norm und Richtung.

Und jetzt? Ich nehme das „iwwerzwerch“ einfach als Kompliment mit nachhause und fühle mich angespornt, es weiter zu treiben wie bislang. Nur schneller, höher, weiter. Um die zu triggern, die mich darob tadeln möchten und mich bei denen zu bedanken, die es zu schätzen begreifen.

Guten Abend.

motiv: „anaterate“/pixabay … modified

Bruno SchulzComment