Von der Einfachheit

Facebook erinnert mich an eine gute Zeit an der nordjütländischen Nordseeküste, als vieles noch in Ordnung zu sein schien. Inzwischen hat sich vieles verändert. Ja, auch manches zum Guten. Die Konstante bleibt. In wenigen Wochen bin ich wieder da. Ich kann es kaum erwarten:

„Von der Einfachheit.“

Løkken, Nordjütland

im August 2015.

"Einfachheit ist das Resultat der Reife." Friedrich von Schiller

Es sind nun bald zwei Wochen einfachen Strandlebens. Raubauzige Nordsee. Brüllende Natur. Entschleunigung total. Ich habe seit mehr als zehn Tagen keinen Schuh mehr getragen. Sand zwischen den Zehen und Leinen auf der Haut. Unser Haus in den Dünen. Keine hundert Meter in die Brandung. Mal 4, mal 5 und mal 6 Beaufort. Wind. Gischt. Salz. So viel Sauerstoff in der Luft. Eine eigene Düne mit Fernwehblick von Ewigkeitswert. Für den Morgenkaffee und den Abendtee. Schweigsames, einsames Einverständnis. Sonnenuntergänge für weit offene Münder. Wilde, echte Romantik. Der Schlaf ist tief und lang. Erholsam. Und die Nacht ist klar und voller Sterne.

Erst kommt die Ruhe. Dann kommt die Sehnsucht. Nach der Ruhe. Und der Einfachheit. Die Sehnsucht nach mehr Einfachheit im Alltag. Ich lese von der Einfachheit. Und bleibe an Jean-Jacques Rousseau hängen. Der Genfer Schriftsteller und Pädagoge sagte schon im 18. Jahrhundert:

"Auf allen Gebieten ist die Einfachheit verschwunden, selbst aus der Kinderstube. Schellen von Silber, von Gold, von Korallen, von geschliffenem Kristall, Klappern von jedem Preise und jeder Gattung - was für unnützes und verderbliches Zeug! Fort mit all diesem Krame! Fort mit den Schellen! Fort mit den Klappern! Kleine Baumzweige mit ihren Früchten und Blättern, ein Mohnkopf, in welchem man die Samenkörner klappern hört, ein Stück Süßholz, an dem es saugen und kauen kann, werden das Kind in ebenso großes Entzücken versetzen."

Da hat er Recht. Und das adressiert er sicher nicht nur an die Kinder. Jeder von uns kennt sein eigenes Süßholz. Oder das, was es ersetzen sollte, aber viel zu selten wirklich kann. Das was uns in unserem Alltag gefangen nimmt, uns bindet. An seine vorgebliche Zwangsläufigkeit. An sein scheinbares Muss. Hinterfragen lohnt. Zerlegen. Und entrümpeln. Atmen.

Eines dieser großartigen, jüdischen Bonmots sagt weise, leise und darin auch ganz laut und schmerzhaft wahr: "Während wir dem Glück hinterherlaufen, verlieren wir unsere Zufriedenheit." Ja. Ich spüre hier gerade einen Anflug von tiefer und ruhiger Zufriedenheit. Und die mag ich mir erhalten. Ganz unbedingt.

© Løkken im August 2015

Bruno SchulzComment