"von Ruhe und Frieden"

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Mein alter Freund Heinz hält sich nach vielen gescheiterten Versuchen für beziehungsunfähig. Das gesellschaftgültige Modell Zweisamkeit erklärt er für sich als gescheitert. In jungen Jahren erlebte er durchaus funktionierende Bindungen, deren Halbwertzeiten mit dem Anwachsen des Jahrekontos allerdings in reziproker Proportionalität abstürzten. Er skizzierte mir das mal in angestrengtanalytischer Ernsthaftigkeit auf einem Bierdeckel.  
  
Zwischen dem fünften und sechsten Pils. Die ungelenke Darstellung war der Situation geschuldet. Unbenommen der eingebremsten Rhetorik und den limitierten grafischen Fähigkeiten, war ein umgekehrter Hockeystick klar erkennbar. Heinz versah die Achsen noch mit Daten und Namen. Und erstaunlicherweise machten die erst später ins Gedächtnis zurückgeholten Protagonistinnen, die sich übrigens fast nahtlos in die Kurve einfügen ließen, aus seiner anfänglichen Theorie ein stabiles Manifest.  
  
Andere Beobachter äußerten den Verdacht, dass seine vermeintlichen Mißerfolge möglicherweise mit überhöhten Ansprüchen und falschen Vorstellungen zusammenhängen könnten. Das ließ sich leicht entkräften. Heinz hatte nie besondere Qualifizierungskataloge für seine nächsten Beziehungsvorhaben angelegt. Er hat kein typisches Beuteschema und jagt auch nicht über seinen Verhältnissen. Eher erstaunlich weit darunter. Aber das ist nur meine unmaßgebliche, persönliche Meinung. Heinz ist kein Adonis und auch kein Quasimodo. Ich halte ihn für geistreich, tatsächlich hat er geisteswissenschaftlich promoviert, er ist empathisch und überdurchschnittlich parkettsicher wie -tauglich. Zu seinem Repertoire gehört sogar ein durchaus pointierter Smalltalk, was kaum selbstverständlich sein kann. Nicht zuletzt besitzt Heinz ein ausgewiesen breites Spektrum in klassischer Allgemeinbildung und eine beachtliche Kulturtiefe.    
  
Er hatte allerdings mal eine Phase, in der er Howard-Carpendale-Konzerte besuchte. Die Bombe platzte, als ich eine Karte auf seinem Schreibtisch liegen sah. „Eine Karte Howard Gaspedal, Heinz? Ist das ein Präsent? Für Deine Haushaltshilfe? Man verschenkt doch nicht nur eine Karte? Und Schlager? Wie konnte das passieren?“ „Ich will Dir keinen Bären aufbinden, Bruno. Die Karte ist für mich.“ Es folgten unglaubliche Ausführungen über Kontaktanbahnungsmethoden. Und ich möchte versichern, dass die Howie-Variante bei weitem nicht die Skurillste war. Wie auch immer, seine kreativen Jagdtechniken bescherten Heinz eine beachtliche Touch-Down-Quote. Ich versuchte einzuflechten, dass er wohl erfolgreiche Wege zur abschlußsicheren Unterleibssatisfaktion destilliert habe, diese mir aber ungeeignet erschienen, einem zwischenmenschlich etwas Dauerhafterem Raum und Kraft zu schenken.    
  
„Will ich gar nicht mehr. Ich habe mich ganz gut mit mir selbst eingerichtet“, meinte Heinz und setzte die Qualität der Ruhe und annähernden Zufriedenheit im inzwischen selbstgewählten Singledasein ins Verhältnis zum Gefahren- und Verletzungspotenzial von Personenbindungen. „Und ich will Dir offen sagen, für Sex geh ich inzwischen zum Profi.“ „Oh, na das klingt ja fast patzig konsequent!“ „Ja, ganz genau so, wie ich mit meinem Auto zum Ölwechsel in die Vertragswerkstatt fahre oder zur Vorsorge den Facharzt konsultiere.“ „Aha?“ „Aber sicher. Full Service. Keine Mätzchen. Und das Beste: Ich betrachte das Hurengeld nicht als Bezahlung des Liebesdienstes.“ „Sondern?“ „Für mich ist es eine Art Versicherungspolice. Ich bezahle die Versicherung, dass sie auch wirklich wieder geht.“  
  
„Ohje, Heinz, ist das wirklich erfüllend?“ „Natürlich nicht. Ich war auch schon lange nicht mehr bei den Damen. Ich bin ja fast 60. Der Druck lässt nach.“ „Und jetzt?“ „Ich gehe wieder öfter ins Theater.“ „Allein?“ „Zunächst ja. Ich habe da aber eine nette Frau kennengelernt. Zufall. Wir treffen uns hin und wieder. Gehen in Ausstellungen, tauschen uns aus. Es ist sehr angenehm.“ „Läuft da was?“ „Nein. Obwohl, schön wär’s schon.“ „Du willst mit ihr ins Bett?“ „Nein, darum geht’s mir da gar nicht. Es ist einfach schön, Zeit miteinander zu verbringen.“ „Willkommen zurück im Leben.“  

 

Bruno SchulzComment