"Roy Black"

Roy Black kam bis Mykonos (via Madras).

Es ist zuckersüßer Chai, den uns das Lumpenbündel mit den schiefen Zähnen auf den klapprigen Blechtisch stellt. Der Knabe wackelt mit dem Kopf, schielt wie ein Bürstenbinder. Ich werfe ihm ein paar Münzen zu, die er alle fallen lässt, um sie dann mühsam aufzuklauben. So wollte ich das nicht. Nun kann ich’s nicht mehr ändern. Das Teeglas hat seit Äonen kein sauberes Wasser mehr gesehen. Egal. Lokalkolorit. Roy Black beobachtet mich unruhig. Ich nicke ihm zu und er tut es mir gleich. Es wird schon gut gehen.

Wir sind mit dem Fahrrad unterwegs in einer südindischen Straße voller Handwerker und Händler, Bettler, Heiliger und Huren. Überall sind Menschen und Kühe. Chaos. Ein Greis verrichtet seine Notdurft. Der Lärm ist ohrenbetäubend, der Gestank schneidet in die Nase wie das heisse Messer in die Butter. Noch schlimmer ist nur Roys ständiges Genöle. Und die Schlager, die er singt, um sich die Angst zu nehmen. Lautes Pfeifen im Wald wäre mir lieber. Er folgt mir mit seinem quietschroten Kinderklapprad mit einer großen Janosch-Tiegerenten-Hupe an der Lenkstange und muss sich nicht wundern, dass man über ihn lacht. Sein Palmenhemd macht das nicht besser. Eine Kakophonie des Grauens. Aber was soll ich machen. Ich habe versprochen, ihn nach hause zu bringen. Und ja, er lebt. So wie Elvis. Aber das ist eine andere Geschichte.

Auf halber Strecke begegnet uns der schwedische Konsul von Madras. Er stammt aus der Akessondynastie. Eine berühmte, schwedische Familie. Nicht in Lack und Glitter wie Abba. Eher so die Strippenzieher; die Leute machen weltweit in Diplomatie und Landwirtschaft. Wir unterhalten uns über die Plantage in Kamerun. Penja. Den Pfeffer und die Schokolade und über die Mischung aus beidem. Roy jammert. Er schwitzt. Akesson stöhnt und verdreht die Augen. Wir geben uns die Hände. Es geht weiter. Und der große Roy Black eiert maulend hinterher. Ich habe ihm ein Eis versprochen. Hoffentlich hält er durch.

Überraschenderweise mündet die indische Straße auf einem weiten, mediterranen Platz. Kräuterduft liegt in der Luft. Grillen zirpen. Hier scheint ein „Dinner en blanc“ stattzufinden. Lose Gruppen eleganter, weissgekleideter Menschen strömen stossweise über die cottogepflasterte, gefühlig illuminierte Fläche.

Plötzlich springt wieder dieser bösartige Höllenhund zähnefletschend auf mich zu. Es ist derselbe Hund, der mich erst vor ein paar Tagen am Strand von Nieuw Haamstede angegriffen hat. Diesmal verjage ich ihn mit der Gitarre eines Strassenmusikanten, der ein Mitglied der Kellyfamily sein könnte. Der Stammbaum ist ein Kreis. Roy singt. Das Tier jault. Euch werd’ ich lehren.

Tadaaa. Da fliegen die blauen Holzläden im Obergeschoss eines zweistöckigen, natürlich weissgekalkten Hauses an der Stirnseite des Platzes auf. Ein Orchester setzt ein mit grellem Metallgebläse. Die Phenix Horns. Knackpräziser Stakkatolauf. Ein jäher Schrei. Hysterisch. Aus dem Fenster fällt ein barocker Rauschgoldengel. Sein Fall wird gebremst durch unromantische Müllsäcke auf dem Trottoir. Den trägen Müllkutschern sei Dank. Der Engel entpuppt sich als dicker Transvestit mit schreiblonder Perücke und Baccara-Make-up: „Sorry, I’m a Lady!“ Das hat Frank Dostal geschrieben. Roy Black ist beleidigt. Es hätte wenigstens Marianne Rosenberg sein dürfen. Bedeckt ist er mit wenigen Quadratzentimetern schwarzem Tanga. Die Transe, nicht der Roy. Er hämmert mit beiden Händen an die Tür und will wieder rein. Er muss nachpudern.

Auf dem Platz sind Gotthilf Fischer mit seinen Chören und Earth, Wind & Fire erschienen und intonieren gemeinsam „Freude schöner Götterfunken“ und jagen mich querulierend aus dem Schlaf. Little Nemo 2.0.

Julia, der ich sogleich von meinem Traum erzähle meint, dass sie im Grunde schon die eine Person zuviel sei, die davon weiss. Ich nehme mein iPad und schreibe es auf.

PS: Roy Black (* 25. Januar 1943 in Straßberg bei Augsburg; † 9. Oktober 1991 in Heldenstein bei Mühldorf am Inn; bürgerlich Gerhard Höllerich) war ein deutscher Schlagersänger und Darsteller in mehreren deutschen Musikfilmen und in der Fernsehserie „Ein Schloss am Wörthersee“. (wikipedia)

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Bruno SchulzComment