02: "Ciccio"

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Es ist frisch draussen, nieselig und klamm. Hamburgwetter. Vielleicht ist es aber auch einfach nur die Säuferkälte, die mich frösteln lässt. Und dabei bin ich noch gar nicht an der Luft. Schöne Aussichten. Schön war es gestern noch und ganz schön spät in meiner Herberge, der ‚Pfarrei in der Otzenstraße‘, nur wenige hundert Meter von meiner Überraschungserbschaft. Mein Quartiermeister Jörg genießt meinen Besuch in der Stadt. Und noch mehr den Anlass. Wir werden uns jetzt wohl endlich wieder öfter sehen. Darauf haben wir getrunken. Uns gefreut und noch Einen getrunken und noch Einen. Und dann noch den Einen zuviel.

Nach kurzer Nacht ist es jetzt acht, fast zu spät und zu früh in einem und wir trinken noch schnell einen Kaffee aus dem röchelnden Vollautomaten. Ich hasse die Dinger und die Plörre, die sie produzieren, aber ich respektiere meine sehr freundlichen Gastgeber. Darum spare ich mir mein besserwisserisches Geschwätz, das mir gerade ganz klein und nebensächlich vorkommt.

„Was hast Du vor mit dem alten Kasten in der Hafenstraße? Du willst ihn doch nicht etwa behalten in der aktuellen Situation?“ Jörg beobachtet mich über den Rand seiner überdimensionalen „J“-Weihnachtswichtel-Tasse. „Ich kann schon nicht mehr verkaufen.“ „Warum das?“ Jörg schaut mich mit großen Augen an. „Ich habe es versprochen.“ „Du hast es versprochen? Du weißt es seit wenigen Tagen, bist gestern abend angereist und hast es versprochen? Wem denn?“ „Laetizia.“ „Wer zur Hölle ist Laetizia?“ Ich stelle meine Tasse auf den Tisch. „Sie ist die Chefin der ‚Interessengemeinschaft der sizilianischen Witwen in Not‘ oder so ähnlich.“

„Was?“ Jörg lacht seinen Kaffee in Sprühpartikeln quer durch den Raum wie eine dieser feindosierenden pfälzischen Gemüseberegnungsmaschinen, die man wie im Safaripark aus dem fahrenden Auto bestaunen kann, wenn man auf der A61 zwischen Frankenthal und Speyer unterwegs ist. „Darf ich diese Leute kennenlernen?“ „Selbstverständlich.“ Ich schaue auf die Uhr. „Mist, ich bin genau jetzt mit ihr verabredet, um zu besprechen, was wir machen.“ „Was ‚wir‘ machen?“ „Ja, so ungefähr. Wir sehen uns heute abend, dann weiß ich mehr und werde berichten.“ „Ich kann es kaum aushalten. Ich werde jetzt den ganzen Tag hier sitzen und auf Dich warten.“ „Ich freue mich.“ „Und ich erst.“

Ich gehe in eiligen Schritten zur Hein-Hoyer-Straße, vorbei am „Crazy Horst“, hole mir noch schnell einen Nußknacker und ein paar süße Entschuldigungen für die Verspätung bei meinem Lieblingskonditor Holger Rönnfeld, um dann die muffelnde, verkaterte Reeperbahn zu überqueren und über die Davidstraße mein baufälliges Kleinod zu erreichen.

Laetizia ist schon da und erträgt meine Unpünktlichkeit mit der Stoik der stolzen, wortkargen Wirtin Reseda in „Asterix auf Korsika“. Sie wird Reseda. Sie ist Reseda. „Caffè?“ „Ja, bitte.“ „Was machen wir jetzt?“ „Wie meinst Du das?“ „Was machst Du mit uns? Was wird aus den Witwen?“ „Wir lassen uns was einfallen.“ „Was soll das heissen?“ „Ich hab mir was überlegt.“ „Jetzt wird es spannend …“

Ich setze mich zu ihr an den großen Wirtshaustisch, auf dem eine riesige italienische Wachstischdecke festgesteckt ist mit einem entzückenden Südfrüchtedekor. Ein Tischtuch wie das Plakat einer Initiative des Bundegesundheitsministeriums zur Ermahnung an den erhöhten Vitamin-C-Bedarf in der Erkältungszeit. Dankeschön.

„Ich denke seit Jahren an Veränderung. Jetzt bin ich fünfundfünfzig Jahre alt und wenn ich es jetzt nicht schaffe, mache ich es nie.“ „Was meinst Du?“ „Ich wollte immer mehr haben, als nur einen Fuß in der Tür dieser Stadt. Ihr seid Italienerinnen, Ihr könnt kochen. Ich wollte schon immer eine einfache und gute Küche mit frischen Sachen für jedermann haben. Darüber ist Platz für meine Agentur und Euren Fledermausclub. Wir werden gut miteinander auskommen. Ganz oben baue ich mir eine Wohnung aus.“

„Wie willst Du das alles bezahlen?“ „Den Rest verkaufe ich.“ „Mo!“ Laetizia steht auf und geht durch den Raum, auf und ab, immer wieder. „Sicuro?“ „Es ist eine Idee. Wir müssen schauen, ob es geht.“ „Si. Aber da ist noch was.“ „Eigentlich hatte ich schon mehr als genug Überraschungen in den letzten Tagen.“

Da berührt etwas meinen Fuß. Laetizia kann es nicht sein, nicht mal absichtlich, denn die steht mitten im Raum. Eine Maus oder Ratte? Dafür ist es viel zu schwer. Ein Grunzen und ein tiefer Seufzer. Der Tisch erhebt sich kurz, darunter schüttelt sich ein offenbar sehr großes Tier. Ich hebe die Tischdecke an und blicke in zwei glühende Augen, die mich sehr genau fixieren. Ohne mich abzuwenden frage ich: „Laetizia, was ist das?“ „Das ist Ciccio.“ „Was ist Ciccio?“ „Das Dickerchen.“ „Das weiß ich auch, aber was ist das da?“ „Das ist uralter napolitanischer Adel.“ „Dein uralter napolitansicher Adel hat eben seinen Kopf auf meinen Schoß gelegt und meine Hose vollgesabbert.“ „Ihren Kopf. Sie ist ein Mastino. Und sie ist Teil Deines Projekts. Und offensichtlich mag sie Dich.Das ist ein gutes Zeichen.“

Bruno SchulzComment