Deutscher Wein

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„Deutscher Wein“ - endlich ist jetzt alles klar!
Oder: Geographienachhilfe ist kein Marketing.

„Der deutsche Wein muss für den Verbraucher verständlicher werden!“ Mit dieser Hohlphrase umreisst die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner die am Donnerstagabend beschlossene Reform des deutschen Weingesetzes. Die soll den Käufern künftig die Orientierung erleichtern und dem gegenwärtigen Absatzrückgang bei deutschen Weinen entgegenwirken.

Während die deutschen Winzer im Jahr 2008 noch Ware für 434 Millionen Euro exportierten, so waren es 2019 gerade noch so eben 305 Millionen. Die Menge halbierte sich gar von zwei Millionen auf rund eine Million Hektoliter. Spanien übrigens exportiert mehr als das Zwanzigfache, Australien mehr als das Zehnfache und sogar die USA überflügeln die 13 deutschen Anbaugebiete ohne Probleme. Die deutsche Weinwirtschaft verliert seit Jahren unablässig Marktanteile.

Dem will man nun Einhalt gebieten mit einer neuentwickelten Herkunftspyramide, die den potenziellen Kunden von Qualitätsweinen den Zugang durch zusätzliche Informationsangaben auf dem Etikett erleichtern soll. Vergessen hat man dabei wohl, dass man den Kunden erst einmal an die Flasche selbst bringen muss. Und dass der das Ding erst einmal in die Hand nehmen muss, bevor er vielleicht versuchen mag, den Sermon zu dechiffrieren. Ich stelle mir gerade vor, wie sich der Asiate von der Genealogie einer Weinmachersippe mit Doppelnamen voller Umlaute in drölfter Generation im Seitenarm eines der unscheinbareren Anbaugebiete und seiner lokalen Lagen und alles in deutscher Sprache begeistern lässt. Vielleicht entscheidet im Zweifelsfall dann doch immer noch: „gefällt“ und „gefällt nicht“ und danach mit viel Glück „schmeckt“ und „schmeckt nicht“. Saale-Unstruth ist eben nicht Chianti und der Horst kein Casanova.

Deutscher Wein war und ist bislang weder sexy noch ein wirklich cooles Lifestyleding. Man darf sich da von seiner luftdichten Echokammer nicht einlullen lassen. Der pfälzer Winzer Christoph Hammel aus Kirchheim an der Weinstraße meinte kürzlich in einem Interview mit Patrick Hemminger in der "Schluck" ganz richtig: „wir haben den Menschen zu viel Angst eingejagt, das Thema zu kompliziert gemacht.“ Er erzählt von seiner Zusammenkunft mit Leuten, die sich beinahe schämten mit ihrer kleinlauten Aussage, dass sie eben trinken, was ihnen so schmeckt. Hallo? Wie denn sonst? Akademisches Saufen? So ein Unsinn! Die meisten haben eben keine Ahnung von Wein und müssen das auch gar nicht haben, um sich abends bei ihrem Glas „wasauchimmer“ zu entspannen. Wenn die Deutschen das nicht begreifen wollen, serviert eben die Konkurrenz. Weinklugscheißerei ist kontraproduktiv. Es geht doch vielmehr darum, die Menschen zu gewinnen und nicht darum, sie überheblich wegzubeissen.

Gut gemeint ist halt nicht immer gut gemacht. Mit Entscheidungen wie der zur neuen Herkunftspyramide wird der Pflug eher vor die Ochsen gespannt und nicht dahinter, als eine faktenorientierte Initiative zu schaffen. Wenn man nämlich den aktuellsten Erkenntnissen einer Studie von „wine intelligence“ Glauben schenken möchte, treffen 70 % der regelmäßigen Weinkonsumenten ihre Kaufentscheidung ausschließlich nach der Etikettengestaltung. Wie auch sonst? Die Verbraucher sehnen sich nach Orientierung und Ansprache. Allerdings ganz sicher nicht nach ergänzendem Informationsgeschwurbel, das die Etiketten noch zusätzlich verunziert.

Liebe Frau Klöckner, gehen Sie doch mal in Frankfurt über die Zeil oder kreuz und quer durch Dortmund und befragen Sie die Leute stichpunktartig nach Anbaugebieten oder gar nach Lagen. Ich versichere Ihnen ganz unhellseherisch: das geht in die Hosen.

Die Zeiten in denen die Etiketten vornehmlich dem Zweck einer informativen inhaltlichen Deklaration, garniert mit geschmacksfrei dilettierter „Familienheraldik“ dienten, sind wenig überraschend lange vorbei. Das Weinetikett darf und muss vor dem zunehmenden Angebots- und Wettbewerbsdruck als Fläche für eine auf- und auszubauende Markenidentität verstanden werden. Nicht zuletzt deshalb, weil das Etikett und die restliche Flaschenausstattung die einzigen Vehikel sind, um eine tatsächliche Markenbotschaft jenseits der Hofmauer weitergeben zu können. Der Wein muss für sich sprechen können, wollen und dürfen.

„Design ist Produktsprache“: nach dieser gängigen Definition aus den Kommunikationswissenschaften muss das Weinetikett eine Marketingfunktion im Sinne der Schaffung von Produktidentität übernehmen, um Anziehungskraft auf den Käufer auszuüben. Studienergebnissen zufolge, spielen hierbei vor allem die farbliche und bildliche Ausgestaltung eine große Rolle. Moderne, atypische Bilder und Farben wirken besonders ansprechend und können dabei helfen, die Kaufargumente zu steigern. Laut Joost van Treeck, Professor an der Hamburger Hochschule Fresenius helfen vor allem die Abweichungen vom Erwarteten, neue Zielgruppen zu gewinnen.

Die aktuellen Entwicklungen um die deutsche Weinbranche legen zwar nahe, dass es dringend Veränderungen bedarf, um dem Absatzrückgang entgegenwirken zu können. Allerdings sollten die dafür angestrebten Maßnahmen kreativer ausfallen als durch das Einfügen zusätzlicher klinischer Laboratmosphäre auf dem Etikett.

Der Konsumenten will auf emotionaler Ebene abgeholt werden, durch Haptik und Narration, vielleicht durch Witz aber ganz sicher durch Individualisierung und den gekonnten gestalterischen Umgang mit Farbe, Motiv und Typographie.

Der Kunde sucht Identifikationsmomente. Kryptischer Geographieunterricht ist nicht für alle die adäquate Konnotation in Genussmomenten, geschweige denn Animation in Sachen breitenfähiger Trinkkultur. Hört endlich auf, die Kundschaft zu vergraulen. Schafft echte Impulse. Danke.

Bruno Schulz
Team schulzundtebbe

PS: ich verfüge über eine sehr umfangreiche Sammlung internationaler Bildbände im Sujet "Weinausstattungen". Ein flüchtiges Durchblättern zum Pausencafé, macht den größten Ignoranten in nur wenigen Minuten sichtbar, wo der Hase im roten Kampotpfeffer (von Hennes' Finest Kampot Pepper natürlich) liegen tut. Wer mitsichten mag, fühle sich nach Absprache eingeladen. :)

Bruno SchulzComment