von Selbstgerechtigkeit

„Die baltischen Junker aus deutschem Geschlecht,
Oft waren es wilde Gesellen,
Hochmütig und ehrlich und selbstgerecht,
Unfähig, sich schlau zu verstellen.
Sie lernten zu wenig und jagten zu viel,
Sie lebten zu ungebunden
Und saßen so gerne beim Kartenspiel
Bis tief in die Abendstunden.
Und wußten im Stalle besser Bescheid
Als unter Schreibern und Knecht ...“
Peter Zoege von Manteuffel

Ich lese mich gerade ein wenig hinein in das Werk des Philosophen Odo Marquard, einst ordentlicher Professor für Philosophie an der Justus-Liebig-Universität Gießen und immerhin Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland. Mich interessieren aus regelmäßigem Anlass die Schnittstellen seiner Definitionen von Selbstgerechtigkeit, Hochmut und Arroganz.

Marquard erkennt den Ausdruck einer philosophisch begründeten Selbstgerechtigkeit darin, dass Menschen mit chronisch gutem Gewissen in Eigendeklaration andere Menschen im Exzess ständig und gerne zu beklagen haben.

Ein philosophiegeschichtliches Fundament dieses Verhaltens findet er in der Überwindung der Leibniz-Theodizee durch die Annahme der Nichtexistenz Gottes. An Gottes statt, gilt hier der Mensch als Schöpfer der Geschichte. Da es allerdings weiterhin für alles Schlechte in der Welt eines Schuldigen bedarf, steht nun der Mensch selbst im Fokus und Gott für diese Rolle eben nicht mehr zur Verfügung.

Das Ergebnis ist eine „Übertribunalisierung der Lebenswirklichkeit“. Der Mensch wird Beklagter, Ankläger und Richter in einer Art unaufhörlichem Dauertribunal. Er gerät in einen absoluten Legitimationszwang, der sich in einem säkularen Modell eben nicht mehr durch etwas wie eine göttliche Gnade dämpfen ließe.

Diesem massiven Druck entweichen manche Protagonisten in eine vermeintliche Unbelangbarkeit, beispielsweise durch die Flucht aus einem „Gewissen-Haben“ in das „Gewissen-Sein“ selbst. Sie tauschen eigenmächtig die Rolle des absolut Angeklagten durch den selbst herbeihalluzinierten und fortan ausschließlichen Status eines absoluten Anklägers: „absolute Angeklagte sind dann zwar die Menschen, aber nur noch die anderen Menschen, weil man selber nur noch der absolute Ankläger ist.“ (Odo Marquard: „Der angeklagte und der entlastete Mensch, S. 40, 47–50, 56, in: ders.: Abschied vom Prinzipiellen, Reclam, Stuttgart 2010).

Eine Verdichtung dessen machte Marquard aus in der revolutionären Geschichtsphilosophie einer neuen „Pseudo-Linken“, die das „Gewissen-Sein“ zum Prinzip ihrer vermeintlichen Avantgarde macht, die selbst nicht mehr belangbar sein will, „weil sie sich selbst der Zukunft und alle anderen der Vergangenheit zurechnet“. Und die eindimensionale Kritik muss ihr ja schmecken, weil diese sie nachhaltig von der Bürde eines eigenen Gewissens befreit.

In der Psychiatrie übrigens wird die Selbstgerechtigkeit unter den ICD-10- und DSM-5-Definitionskriterien nicht den narzisstische Persönlichkeitsstörungen zugeschlagen. Allerdings wird sie immer wieder als typischer Charakterzug narzisstischer Persönlichkeiten beschrieben.

Die Diagnose passt.
Und in den sozialen Medien sowieso.

motiv: pixabay

Bruno SchulzComment