"Die Gleicheren"

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Corona macht uns zu schaffen. Zwar geht das Virus wohl tatsächlich manchem fast unmerklich einfach so durch, andere aber husten, schwächeln und die empfindlicheren sterben. Dort mehr, hier weniger. Schrecklich, so und so. Da gilt es, empathisch zu bleiben und von daher loyal. Regeln einzuhalten, wenn diese Leben retten. Auch auf Kosten des subjektiven Anspruchs auf Freiheit und Freizügigkeit. Das ist das Prinzip des gedeihlichen Miteinanders in einer zivilisierten Gesellschaft.

Und dann quälen sich noch welche im Fieberwahn ihrer Wahrnehmungsschrumpfung im Kollateralschaden einer, in der Pandemie derrangierten Aufmerksamkeitsökonomie. Scheinlinke Pseudophilanthropen, denen es nur vorgeblich um das Gute im und für die Menschen geht, vor allem aber um die Ausstellung des egoformuliert Guten in sich selbst: „die Gleicheren“.

Die bedienen sich interessanterweise schamlos der Lügenmechanik der neokonservativen Realitätsbeugung. Man läutet die Alarmglocken so lange in eigener Sache, bis endlich keiner mehr zuhört. Ein gefährliches Spiel. Vor allem dann, wenn’s wirklich klemmt.

Leute, wie der „investigative“ Spiegelsachbearbeiter Dirk Kurbjuweit, die omnipräsente Sirene der Selbstgerechten Juli Zeh oder Heribert Prantl, der eitel selbstdeklariert mahnende Zeigefinger in der schwärenden Wunde der Dauerbesorgten wähnen uns neuerdings auf allen Kanälen und mit ansteigendem Geheul bereits im Durchfall zur mediokren Diktatur. Überall ist alles nur noch braun. Das wirkt. Das reicht immer für das kleine Blitzlicht in Zeiten der Seuche.

Zeh fantasiert manierenfrei von der Alternative zu den aktuellen „radikalen“ Einschränkungen der Bürgerrechte in der Ära Corona, nämlich dem Konzept der Herdenimmunität, die besagt, dass sich erst einmal sechzig bis siebzig Prozent der Bevölkerung infizieren müssen, bevor eine Pandemie abflaut. Diesen menschenfindlichen Mist hat auch Boris Johnson ventiliert, bevor er sich jetzt intensiv ablegte, um den Sauerstoff zu genießen, der ihm wohl viel zu lange fehlte. Dass die Kranken, Schwachen und Alten dabei über die Klinge springen, hat Zeh hoffentlich nicht reflektiert, oder sie nimmt es eben komplett schmerzfrei in Kauf. Solch grobe, wenn auch naturwissenschaftlich belastbaren Vorschläge macht in schulterzuckender Entspannungsgestik immer nur der Unbetroffene. Wer in der Familie keine Senioren hat, dem können sie auch nicht ableben.

Ist Scheißesein jetzt plötzlich cool?

Achtung: dem Virus ist das alles Wurscht. Es kennt keine Regierungsformen und befällt die Menschen in Demokratien so gerne wie die in Diktaturen. Immerhin kann man offensichtlich funktionierende Regeln im Umgang damit finden. In einem Artikel der New York Times wurde am vergangenen Wochenende den Deutschen bewundernd attestiert, sie schafften es, die Opferzahlen vergleichsweise sehr niedrig zu halten. Dafür verantwortlich gemacht werden die hohe Zahl an Tests, aber eben auch das entschlossene Handeln der Regierung. Und das orientiert sich derzeit mehr am Virus, als an der Tagesform unserer Demokratie. Und wahrscheinlich zu wenig an den Befindlichkeiten der Besonderen. Das quält.

Und jetzt? Natürlich müssen wir unsere Demokratie schützen und im Auge behalten. Damit die aber so pluralistisch bleibt, wie sie die meisten lieben und schätzen, müssen wir jetzt die Leute schützen, die sie leben wollen.

Bleibt alle gesund.
Auch die Oma und der Opa.