Wird Deutschland Diktatur?

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„Die Demokratie ist voller Probleme,
die Diktatur ist ein Problem.“

Die bizarre Debatte über die unterstellte Freiheitsberaubung im Zuge der Infektionsprophylaxe ist ausgelöst durch das hypertrophe Salbadern einer dekadenten Scheinelite, die in ihrer sorglosen, weil konjunkturunabhängigen Langeweile in Zeiten der Kontaktsperre offenbar Gefallen daran gefunden hat, verhindert freizeitaktive, konsumlabile, aber vor allem vermeintlich kritische Menschen zu verunsichern, die ihnen, in blindem Kompetenzvorschuss und kleinbürgerlichem Kadavergehorsam Sachkenntnis unterstellend, nur zu gerne auf den gerissen ausgestrichenen Leim kriechen.

Prantl, Zeh und Konsorten toben ihre Profilneurosen auf dem dünnen Eis unserer Solidargemeinschaft aus. Das ist so empathiefrei wie gefährlich und vollkommen verantwortungslos. Getreu dem Motto „immer noch einen obendrauf!“, toppte vor wenigen Tagen der SPIEGEL-Sachbearbeiter Dirk Kurbjuweit aus dem Hauptstadtbüro den zeitgemäßen, verbalen Barrikadenkampf der omnimedialen Populärjuristen noch mit der gefühligen Niederschrift seiner kürzlichen Erweckung im Zeichen „des üblen Gefühls, in einer Diktatur zu leben“. Er war sich tatsächlich nicht zu schade, das Bild von der Mauer rund um unser Land zu bemühen und fabulierte vom Niedergang von Humanität und Liberalität. Das klingt nach einem Hilfeschrei um therapeutische Unterstützung.

Den reichweitenstarken Schwadronneuren ist gemein, sich in Omniszienz wahnvorzustellen, also unter dem Vermögen, alle überhaupt wissbaren Sachverhalte auch tatsächlich zu wissen. Und sie unterschlagen dabei ihren Jüngern die suggerierte, holistische Aufsicht. So wie kürzlich ein befreundeter, tatsächlich sachkundiger Naturwissenschaftler in der Exegese von Prantls Ausführungen zu extrahieren wusste, dass dieser wohl nicht zwischen Virologen, Epidemologen und mikrobiologisch orientierten Veterinären zu unterscheiden wüsste und überhaupt, dass dessen Behauptung, man habe sich exklusiv auf die Expertise dieser schlanken Fachgruppe kapriziert, vollkommen irreführend, ja sogar faktisch falsch sei: der Aufbau von medizinischen Behandlungskapazitäten, von Logistik, wirtschafts- wie sozialpolitischen Maßnahmen etcetera pp. ist wohl kaum vom „Virologen“ erfunden worden, sondern das Ergebnis einer professionellen Verzahnung sachspezifischen Know-Hows, was in Verbindung mit der geschmähten Kontaktsperre zu den Zahlen führte, für die sogar die „New York Times“ die deutsche Politik in der vergangenen Tagen mehrfach zu loben wusste.

Die Fachmediziner in den Lazaretten hatten sich die Kontaktsperre übrigens erheblich restriktiver gewünscht. Und wenn man der inzwischen hunderte toten Ärzte gedenkt, sollte man versuchen, die Arbeitsbedingungen der im Einsatz befindlichen Kollegen so sicher und sinnvoll wie irgend möglich zu gestalten. Als Unbetroffener lässt sich das anscheinend nur zu leicht übergehen.

Prantl und seine Apologeten vergaloppieren sich dafür umso lieber in den subjektiven Feinheiten zwischen den Begriffen Notstand und Shutdown. Prantl plappert selbstgefällig, Naturwissenschaftler hätten andere Vorstellungen von dem, was systemrelevant sei, als Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler, als Psychologen, als Experten aus Kultur, Kunst und Religion. Ihm aber ginge es um einen ganzheitlichen Blick auf die Gesellschaft.

Er bringt dabei wohl einiges mit erschreckender Leichtigkeit durcheinander, um sich eitel Gehör zu verschaffen, obwohl er offenbar nichts Sinnstiftendes beizutragen hat. Eine inhaltliche Gewichtsangleichung von Meinung, also dem Beitrag sachfremder Laien, mit Fakten, also den Forschungsergebnissen von Fachwissenschaftlern, muss zum scheitern verurteilt bleiben: der Theologe beispielsweise, ist in der Entwicklung wirksamer heilkundlicher Strategien gegen eine Pandemie so relevant wie die Kuh für die bemannte Weltraumfahrt. Für die Auflösung der Konsequenzen sollte er dafür so früh wie möglich eingebunden werden. Alles zu seiner Zeit: um so besser synchronisiert, desto effizienter. Und die frühe interdisziplinäre Auseinandersetzung mit den Umgebungsvariablen ist hoffentlich selbstverständlich.

Wenn Juli Zeh kenntnisarm von Herdenimmunität schwafelt, möchte man ihr wohlmeinend einen Mangel an Reflektion unterstellen, denn sonst dokumentierte sie im Vorschlag, Risikogruppen stärker zu isolieren, um der Mehrheit die gewohnten Annehmlich- oder Regelmäßigkeiten sowie die schmerzhaft unterschlagenen Grundrechte wiederzugeben, eine unerhörte Ignoranz gegenüber dem Leid und dem Sterben von Betroffenen. Die scheinheilige Deklaration als Schutz der Alten und Siechen ist so schamlos wie unverfroren. Das ist die Schönwettervorstufe vor der Selektion und einer späteren Triage, die dann eben andere treffen müssen. Eine Isolierung der Risikogruppen wäre übrigens gleichbedeutend mit einer Abspaltung eines Drittels der Bevölkerung. Nota bene! Zum reichlich undemokratischen Vorgang einer solchen Ausgrenzung vernimmt man dafür nur selten verbindliche Stellungnahmen.
Und was ist überhaupt mit dem Grund- und Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit? Die Bankrotterklärung einer Zivilisation.

Was Humanität und Philanthropie angeht, denken diese Leute kaum weiter, als sie die Alten und Siechen werfen könnten. Hinaus aus der Gesellschaft. Ein merkwürdiger Gemeinsinn ist darin.

Ihr Publikum lässt sich abholen, weil es einfachere und bequemere Bilder in der derzeitigen Konfusion sucht und vermeintliche Koryphäen, die sie ihm häppchengerecht aufbereiten. Weil es nachvollziehbar in der Einschränkung Aussicht auf Entlastung braucht. Eine Freundin diagnostizierte entlastend: „Ich glaube, dass es weniger Dummheit ist, die Menschen so reagieren lässt, als vielmehr das limbische System, das unter Stress bei manchem die Führung übernimmt und den präfrontalen Kortex seiner Aufgaben beraubt." Konnotationen und Konsequenzen werden dabei leider unterschlagen. Es bleibt fatal.

Und im geringsten Gegenwind, bemühen die Wahnwichtler bereits das dümmlich durchsichtige, verschwörungsgrienendne Narrativ, „die Dinge ungestraft nicht mehr beim Namen nennen zu dürfen“. Ein Spruch, den man bislang eher bei der AfD einordnete und der lächerlicher kaum daherkommen kann, da man dem bewusstseinseintrübenden Sermon auf allen Kanälen kaum mehr zu entfliehen vermag. Argumente? Fehlanzeige! Hirnrissiger wird es noch in Kombination mit den Nebelkerzen aus unseriösen Influenzastatistiken. Oder der Behauptung, die Zahlen seien doch ohnehin rückläufig, was nachweislich nicht stimmt. Die Kurve wird flacher. Richtig, was exklusiv der Verdienst der geschmähten, verteufelten Maßnahmen bleibt. Danke Merkel!

Das zerebral entkernte Fazit, Deutschland befände sich auf direktem Weg in eine Diktatur, ist ein bedenklicher Einblick in die verrutschende Gedankenwelt des Resümmierenden, Level „Flacherde“, „Chemtrails“ oder „Reptiloide“. Zitiert wird inzwischen die DDR, wie auch das Dritte Reich. Hallo? Wie denn jetzt genau?

Die vorgebliche Sorge um den Niedergang unserer pluralistischen Demokratie leistet genau diesem unheilvollen Prozess Vorschub und dem Verlust des eigenen, moralischen Kompass. Deutschland ist eine stabile Demokratie, die sich inzwischen auch in komplizierten Verhältnissen bewährt. Das ist wunderbar.

Das Virus übrigens hat keine Vorurteile, ihm ist es vollkommen Wurscht, wen es befällt: Demokratie oder Diktatur, ganz egal.

PS: … aber wahrscheinlich geht’s ja bei allen Gebärden doch wieder nur um Wirtschaft und Wachstum. Wer hätte ahnen können, dass Prantl mal zum Che Guevara der Neoliberalen reifen könnte?

Bruno SchulzComment