Von der traurigen Trivialisierung einer gerechten Empörung.

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Ein farbiger Mann, „pc“ wäre wohl „PoC“, wird in den USA durch die Polizei ermordet. Das ist schrecklich, ungerecht, inakzeptabel und gerät spät zum Symbol, das Symptom einer alten Seuche: der reale strukturelle Rassismus in den westlichen Zivilisationen und deren Institutionen.

Dank neuer Kommunikationsformen ist das Feuer schnell um den Globus getragen. Die Welt hat sich verändert. Viele Menschen spüren, dass das so nicht richtig sein kann. Und sie spüren sich selbst und die eigene Gerechtigkeit in einer vermeintlichen Gemeinschaft, die aufbegehrt, die genau jetzt und endlich etwas richtiges zu tun scheint.

Aber was ist schon richtig? Die Schnittstellen zwischen den Hautfarben sind so unaufgeräumt, wie die zwischen den Geschlechtern, den Religionen, den Nationen, Kulturen, arm und reich, jung und alt, dick und dünn, Stadt und Land, Rock und Hip Hop, carnivor und vegan, Bille und Zottel und so weiter und so fort. Man redet ja gar nicht miteinander, genau genommen ist man nicht einmal im Dialog mit sich selbst.

Es ist eben doch nicht so, wie uns Werbefilmchen und stereotype Stockphotos in zahlreichen Medien regelmäßig zu sedieren trachten: Bürogemeinschaften in geräumigen wie lichtdurchfluteten Startup-Lofts bestehen eher selten aus flockig plappernden, multiethnischen Gesellschaftsprojektionen zwischen Chai-Latte, Chinese Gunpowder, Matcha, Clubmate und Moselriesling und sind darüber hinaus ohnehin so gewöhnlich und selbstverständlich, wie wissenschaftlich seriös bemessene und dokumentierte Träume von Einhörnern auf bewusstseinserweiternden Substanzen.

Die Welt ist Castrop-Rauxel und wir leben in ihr.

Unser durchchiffrierter Alltag wird geprägt von starken Motiven. Das ist die Welt der Marken. Das haben wir alle so gelernt, jeder mit durchschnittlich beinahe zehntausend Markenkontakten an jedem Tag. Da machen wir mit. Und so wird aus einer gerechten Wut und dem tatsächlichen Wunsch auf Veränderung und Bedarf an Erneuerung eine weitere „Kampagne“. Ikonisch und äußerst plakativ, aber eben auch reichlich diffus.

Man echauffiert sich formelhaft und mantraartig über das, was falsch läuft und falsch zu laufen scheint. Als wenn man das nicht schon vor dem schrecklichen Mord längst gewusst hätte. Doch wo bleibt die echte Bewegung? Die konstruktiven Elemente. Öffentlichkeitswirksam? Aktion statt Aktionismus. Ein Plakat mit einem Polizeikadetten schwarzafrikanischen Migrationshintergrunds, der sein souffliertes „alles wird gut“ so lässig transportiert wie ein playbackbewährter Volksmusikant, kann da dauerhaft kaum reichen. Schon gar nicht, wenn der dann auch noch weniger publikumsgerecht abdriftet.

Und schon bemächtigen sich der Kampagne die üblichen Verdächtigen: Menschen, die dem „Summer of Love“ nachspüren und einem Motiv schunkelnder Selbstgerechtigkeit. Ein George-Floyd-Rave im Gummiboot auf dem Berliner Landwehrkanal mit Abschlusskundgebung vis à vis der Covid-Intensivstation: „I can‘t breath(e)“ ist die Verschilderung eines orthografischen wie empathischen Totalschadens eines egozentrierten „Leck-mich-am-A*sch-Kollektivs“. Der Konsum kolumbianischen Marschierpulvers mit freiem Oberkörper bei Sonnenschein im Ruderboot wird zum Freiheitskampf entwicklungsverzögerter Kindergartenhedonisten.

Ein pseudorevolutionärer Ausdruck als Alternativprogramm zu Coronaüberdrüssigkeit und den wirren Verschwörungsformeln von reptiloiden Kinderfressern und Chipimpfern.

Man feiert sich selbst und begräbt das Hirn an der Biegung des Flusses. In diesem Fall das was davon übrig blieb rituell und gruppendynamisch im Park am Kreuzberger Gewässer.

Instagram präsentiert uns durch seine situationsignoranten Influenza-Rinnen neue Formen des uralten superrassistischen Blackfacings inklusive Kosmetiktipp und Swipe-up-Shop-Link: die taubsten Nüsse malen sich an wie einst Al Jolson, oder vielmehr wie der geniale Jean-Michel Basquiat den historischen Jazzsinger einst kritzelkarrikiert hat.

Wer das für die Spitze an manierenfreier Stumpfbesinnung hält, sollte zeitnah einen Blick auf die neuesten Videodokumentationen im Thema „aktuelle Trends“ bei Flagellant*Innen wagen, in denen weisse Frauen so ungefragt wie übergriffig schwarzen Männern zum Ablass die Schuhe lecken. Ob dieser eigenwillige Reinigungsprozess von Schuh und Seele der Sache dient, lasse ich lieber offen. Was soll das?

Salonlinke Social-Media-Schnatterinnen hijacken das Engagement in eigener Sache und entblöden sich nicht, wohlstandsverwahrlost und als offensichtlich privilegierte Gewinnerinnen eines zutiefst verunsicherten Systems, sich auch noch als dessen Opfer zu deklarieren. Als holistische Checkerinnen selbstverständlich in szenegerechtem grellem Outfit internationaler Markenartikler, die ihren Mist zwecks Kostenoptimierung von farbigen Frauen und Kindern unter unwürdigsten Umständen in afrikanischen und asiatischen Sweatshophöllen zusammentackern und hier vor allem von Migranten zu Mindestlöhnen verpacken und ausliefern lassen, von Leuten deren Advokaten zu sein die dumpfen Schreibbimsen vorgeben. Das ist natürlich Unsinn, denn die drehen sich einzig und exklusiv um die eigenen Flatulenzen. Unabhängig der medialen Penetrationsrate. Trittbrettfahrerei.

„Black Lives Matter“ wird einer Menge Leute zur Gelegenheit, auch mal wieder etwas zu sagen um etwas gesagt zu haben, die eigenen Befindlichkeiten auszustellen und die eigene, situationsgeformte Moral wie eine Monstranz vor sich herzutragen. Moralschaustellertum. Gewissenskirmes. Da geht doch mehr.

Klar ist Gemeinsinn wichtig. Und die Gewissheit, in der Gemeinschaft etwas sinnvolles bewegen zu können. Aber ist es nicht mindestens genauso wichtig, öfter mal in Stille in sich hineinzuhorchen und zu überprüfen, was Rassismus mit einem selbst macht und welche Rolle man in diesem schrecklichen Muster spielt? Ein regelmäßiger Prüfstand in Selbstreflektion und das ausleuchten der eigenen unteren Schubladen?

Nur in einer regelmäßigen privaten Positionsfindung und -klärung lässt sich so dauerhaft wie nachhaltig vermeiden, dass „Black Live Matter“ zu einem banalen Pappschild verkommt, das sich eine moralblinde und vollkommen konsumverblödete Kendall Jenner per Photoshop in die beiden manikürten linken Hände retuschieren lässt, um ihren pawlowschen Apologet*Innen in einer weiteren Runde das Taschengeld aus dem Kreuz zu leiern. Diesmal in dem wohligen Gefühl, sich irgendwie von der Couch aus via PayPal per Lippenstifterwerb an einer guten Sache zu beteiligen: „Da war doch was mit diesem schwarzen Mann, oder?“

Schaut auf ihren Schatten: nein, da war noch mehr!

Noch viel mehr!

#immerdranbleiben

Bruno SchulzComment