der Schlaf der Gerechten

Die Welt ist ziemlich durcheinander. Das war sie ja bekanntlich schon immer, aber durch die regelmäßige Beschleunigung der virtuellen Achterbahnkarren zum Transport von Information wird es nicht eben ruhiger.

Neuester Trend ist eine Art Re-Analogisierung von Hashtag-Protestkampagnen mit starken Worten und starken Bildern zurück ins echte Leben. Und weil die Globalisierung eine Menge möglich macht am liebsten an Orten, an denen nichts passiert.

Fünf Minuten Ruhm (Danke Andy Warhol) als Wohlstands-Che-Guevara in gefälliger Bildsprache für oder gegen etwas, wofür es keinerlei Konsequenzen geben wird oder auszuhalten gilt. Im Guten wie im Schlechten.

Die eigentlichen Adressaten werden vom Marsch der Erschütterten nichts mitbekommen. Aber im Grunde ist das auch vollkommen egal, denn die meisten Marschierenden marschieren schließlich vor allem für sich selbst, denn was sie suchen, ist nicht der gemeinsame Protest, sondern eher das gemeinsame Gefühl, Güte in sich zu tragen. Eine Art Kanon unbetroffener Selbstergriffenheit.

Ist der Code #blacklivesmatter in der wohlstandsverwahrlosten Käsekuchenabteilung einer zentraleuropäischen Großstadt nicht irgendwie Auto-Blackfacing? Die Loyalitätsnummer kaufe ich vielen Betroffenheitsschunkelnden nicht so recht ab. Es hat eher was von Widerstandsfolklore mit Betonung auf den letzten Silben. Ein Protestrave, der irgendwie auch als antizyklische Erlösungsveranstaltung zu den ewigen Coronamaßregelungen daherkommt. Aufatmen. Im Freizeitrhythmus. Sommer. Sonne scheint.

Jetzt habe ich den Fehler begangen das im Thread eines wild entflammten „Revolutionsposts“ auf Facebook als „Gratismut“ zu deklarieren. Es ging um rassistische Polizeigewalt. Die Formel stammt von Hans Magnus Enzensberger, die soeben eine Menge seltsamen Bekenneraktionismus dechiffriert: "Gratismut ist ein Verhalten, das couragiert tut, aber nichts kostet."

Aber da hatte ich die Rechnung ohne die virtuellen Barrikadenwirte gemacht, die schon bei einem Like solcher Aktionen von Gefühlseruptionen durchgeschüttelt werden, in der Gewissheit des unermesslichen Gewichts ihres wohlfeilen Beitrags für die gute Sache. Das Like. Gänsehautfeeling auf der Metaebene. Das "We shall overcome" der Generation Instagram. Im Grunde ist die Digitalisierung der guten Taten eine fabelhafte Entwicklung, weil sie Gesellschaften in Zeitnot ein Multitasking in Sachen Rechtschaffenheit gestattet.

Und abends einen ruhigen Schaf der Gerechten.

Und weil ich das gesagt hab, bin ich jetzt blöd.

Bruno SchulzComment