vom Höhepunkt.

Heute ist Donnerstag und der September geht gemächlich zur Neige. Es ist zehn nach Sieben in der Früh, das Licht draussen ist noch unentschieden. Erst matt und kraftlos, doch dann fräst eine Flugmaschine ihre Kondensstreifen in ein sich mühsam entfaltendes Blau. Und ich fühle mich wie der Grönlandhai nach dreihundert Jahren Eismeer.

Vielleicht. Ok, bei mir sind es gerade einmal fünfundfünfzig Jahre. Die Projektion wundert mich dennoch wenig, denn erst am jüngsten Dienstag entdeckte ich ein naturwissenschaftliches Phänomen: nach einem etwa dreistündigen mantraartigen Sedierungsgespräch zu einer Produktpräsentation, sollte ich bei einem Blick auf meinen Chronographen statuieren müssen, dass tatsächlich nicht einmal fünfzehn Minuten vergangen waren. Und jetzt? Genau! Zeit ist relativ. Alles ist relativ.

So wie auch das Verständnis vom Höhepunkt. Der hat mir zeitlebens eigentlich immer wieder aufs Neue ganz gut gefallen, mir ist jedenfalls aktuell kein Negativmoment erinnerlich. Aber der hätte dann vermutlich auch nicht Höhepunkt geheissen und ich hätte ihn längst erfolgreich verdrängt. Die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns zum Vergessen sind jedem und jeder bekanntermaßen eine Gnade und demutsverdienlich.

Höhepunkte verdienen heute Anglizismen. Zumindest im Werbesprech. Inzwischen heissen sie „Highlight“ und es kann dabei schon mal um Tennissocken gehen. In Asiletten. Nicht zum Höhepunkt. Das kennt und kannte der gute Deutsche längst. Nein, die Socken selbst werden Höhepunkt. Der Wertekompass wird neu justiert. Verrückt, denn geschwitzt hat für dieses Highlight bislang allenfalls ein ausgelaugter Asiate während seiner Sechzehnstundenschicht in den fernen Sweatshops von Bangladesh.

Und vielleicht noch Frank und Brigitte Mustermann, die sich gerade fiebernd aufmachen zu ihrem nächsten Aldi, dem Tempel niederster Konsumgelegenheiten, aus dem mir mein Facebookfreund Thomas Thelen soeben diesen Auszug der aktuell angeschlagenen Liedtafel ungeahnt verfügbar macht und den ich Euch hiermit aus jeder Vorenthaltung befreie.

Guten Morgen

PS: der glockenhellwache Johannes (kein Täufer, jedenfalls nicht, dass ich’s wüsste) macht mich soeben darauf aufmerksam, wie die Regenbogenfahne in dieser Schweinebauchanzeige ganz unten aufschlägt und als Dekoration einer Aldisocke zur Discountdevotionalie verkommt.

PPS: man beachte übrigens „Thing T. Thing“, zu Deutsch das „eiskalte Händchen“, ein Jugendfreud von Gomez von der Addams Family und neben dem M-Sport-Logo auf dem schwarzen Socken gleich die zweite Urheberrechtsverletzung in dieser Anzeige.

Bruno SchulzComment