vom Stolz, ein Deutscher zu sein.

In den letzten Tagen und etwas weiter unten in meiner Facebookchronik haben wir uns gemeinsam über einen würdearm alternden Soldaten gewundert, der als „rechte“ Frohnatur nicht nur für die blaubraune AfD im rheinlandpfälzischen Landtag saß, sondern sich zudem nicht entblöden mochte, halbstark plusternd mit freiem Oberkörper posend zu proklamieren, er sei stolz darauf deutsch, weiss und männlich zu sein. Weitere parametrisierende Adjektive hat er uns glücklicherweise erspart.

Eine übersichtliche weibliche Minderheit jenseits der Menopause sowie ein paar Sachkundige in sauber ausgeführten Leibesübungen bewunderten vibrierend die testosterondampfende Sehnigkeit des rechtspopulistischen Schnauzbartathleten, der Rest betrachtete das Dokument des ästhetischen wie kognitiven Totalschadens im Neugierdespektrum zwischen Faszination und Abscheu, das wir von Massenkarambolagen auf Autobahnen kennen.

Natürlich ging es im anhängigen Thread sehr schnell um das Deutschsein selbst und den Umgang damit. Ein Diskutant mit osteuropäischen Wurzeln merkte an, Deutschland sei seiner Kenntnis nach die einzige Nation, deren Bürger sich schämten, deutsch zu sein und sich auch noch gegenseitig dazu aufforderten. Alle anderen sähen das ganz anders: die Türken seien stolz, Polen seien stolz, Russen seien stolz und so weiter und so fort. Und unabhängig der geografischen Herkunft seien farbige Menschen stolz, farbig zu sein und manche untersagten sogar den Weissen ihre Gedichte zu übersetzen.

M. meint, solange niemand Hass verbreite, dürfe man ruhig stolz sein, auch wenn das wenig Sinn Sinn machte. Er fragt ob wir denn auch jemanden als Idioten deklarieren würden, der kundtäte: „Ich bin schwarz, männlich, Senegalese und ich bin stolz darauf“?

Hm. Ich persönlich meine ja, denn das Schämen ist so doof wie das Stolzsein. Jedenfalls im Kontext des Zufalls von Geburtsgeografie und Schlüpfzeitpunkt. Kein Ort und kein Datum machen für sich allein einen guten oder schlechten Menschen aus. Wie wenig muss ich selbst geschaffen haben, um stolz sein zu müssen auf ein Konstrukt, mit dem mich keine tatsächliche, individuelle Leistung verbindet. Oder geht es etwa um das Selbsterlebnis in der Gruppe. Ein Wir-Gefühl, das im Alltag schon lange keine Rolle mehr spielt und in wenigen Momenten überschäumender Emotionen durch den kleinsten gemeinsamen Nenner getragen wird?

Wenn ich während meiner zehn Jahre in Projekten der internationalen Entwicklungshilfe eines gesehen und gelernt habe ist es, den Zufall anzuerkennen, in Zentraleuropa, im Mekongdelta oder in der Subsahara geboren zu sein oder zu werden. Frank Mustermann und seine Frau Brigitte aus Castrop-Rauxel haben in etwa soviel zur Aufklärung und später zur Demokratiewerdung beigetragen, wie die kleine Indira zur Entstehung des indischen Kastenwesens, in dem sie heute gefangen ist. Für mich bleiben Menschen zunächst mal gleich, auch wenn ich sicher nicht so blöd bin, die Parameter ihres Schicksals zu ignorieren, das sie nur sehr bedingt selbst in die Hand nehmen können.

Fragen wir doch mal den sechsjährigen Kriegswaisen Ndugu, der für Frank Mustermanns Samsung-Smartphone zusammen mit seinem achtjährigen Bruder und seinem HIV-infizierten Oheim nebst dessen sieben Söhnen, von denen nach jeder Statistik noch mindestens vier vor dem Erreichen ihrer Volljährigkeit sterben werden, die seltenen Erden aus dem zentralafrikanischen Urwaldschlamm schürft, ob er stolz ist, Kongolese zu sein? Oder die zwölfjährige Näherin in Dhaka, ob sie stolz ist, Bürgerin von Bangladesch zu sein für das sie als Textilsklavin an sieben Tagen die Woche zu je sechzehn Stunden das Fundament des Irrsinns schafft, was hier als Speedfashion Westeuropäerinnen per Entspannungsshopping die vermeintlich wohlverdiente Tiefensatisfaktion erteilt.

Der Vergleich hinkt? Keineswegs, finde ich, denn Frank Mustermann wie Ndugu haben im Wurflotto zu ihren Startbedingungen ungefähr gleichviel eigenverantwortlich beigetragen.

Wenn schon Gänsehaut, wie wäre es denn, einfach nur 'froh' oder 'dankbar' zu sein, dass einem die größte Schei*e erspart geblieben ist und man die hiesigen Rechte und Freiheiten einfach so genießen darf, schlicht dank glücklicher Fügung. Kismet halt.

Ein bisschen Demut hat ja noch keinem geschadet. Oder?

Bruno SchulzComment