Das andere Ende der Welt, oder: von Antipoden am Morgen.

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Wenn ich frühmorgens rund um den ersten Hahnenschrei mit meiner treuen Bassethündin Wilma die Wiesen und Auen der Parklandschaften von Schulzton Abbey durchschreite, haftet sie mit ihrer Nase auf dem Boden wie der maßstabgerechte Miniaturrennwagen auf der elektrischen Schiene einer Carrerabahn und würde ähnlich vollautomatisch ihren Schleifen folgen, hätte ich sie nicht prophylaktisch angeleint. Manchmal bleibt sie unvermittelt stehen, presst die Nase senkrecht in den Rasen und atmet dabei ultrahochkonzentriert so tief ein, dass man ihr schon unterstellte, sie wolle einer nordkoreanischen Familie Fluchthilfe leisten, indem sie diese einfach durchzöge. Quer durch die Kugel. Eine nicht unsympathische Vorstellung, wobei ich ja schon immer eher auf Neuseeland tippte. Als Antipode zu den heimischen Latifundien.

Seit heute morgen weiß ich es noch etwas genauer. Meine Facebookfreundin Tina postete einen Linktipp zu einer Seite, die sich mit geografischen Daten beschäftigt und als Gimmick eine genauere Antipodenbestimmung anbietet.

Also habe ich meine Heimatstadt angegeben und lande umgehend in den Brechern der Roaring Forties, um darin abzusaufen. Die Seite offeriert allerdings auch noch die nächstgelegenen Siedlungen und in unserem Fall ist das „Waitangi“ als Hauptort der Chatham Islands und Sitz des Chatham Islands Council. Die Inselchen gehören zu Neuseeland und man findet sie rummdidumm achthundert Kilometer vor der Küste eben im Südpazifik.

Waitangi liegt auf der Südseite der Hauptinsel Chatham Island in der Waitangi Bay. Etwa siebenhundert Meter davon entfernt, in nördlicher Richtung, befindet sich ein hundert Meter in die Bucht auskragender Anleger, der Schiffen die Versorgung der Insel ermöglicht.

Auch wenn die Inseln tatsächlich am anderen Ende der Welt liegen, muss man sich keine Südseeromantik zurechtspinnen: ursprünglich lebten dort die Moriori, die bereits um 1400 die bis dato unbewohnten Inseln besiedelt hatten. Im Jahr 1835 kamen dann zwei Gruppen der Māori-Stämme, Ngāti Tama und Ngāti Mutunga der westlich liegenden neuseeländischen Hauptinseln und töteten zweihundert Moriori, obwohl diese die Invasoren zuvor noch friedlich und in besten Absichten empfangen hatten. Zum Dank wurden die Überlebenden dann versklavt.

Merke: kein Stück Land ist beschissen genug, als dass man dafür nicht noch jemanden umlegen könnte und kein „edler Wilder“ ist empathisch genug, als dass er nicht einen noch Wilderen versklaven wollte. Machen wir uns lieber nichts vor bei aller Gesichtstattoo-Walgesängeesoterik.

Um die Historie nahezu gänzlich abzuzirkeln, wurde in den 1930ern der besagte Schiffsanleger gebaut und in den 1940ern die Straßen über die Insel asphaltiert, die die versprengten Häuschen und Farmen verbinden, auf dass auch auf Chathams niemand jemals mehr als zehn Meter zufuß laufen müsse.

Bei der letzten Bevölkerungszählung im Jahr 2013 stoppte der Counter in Waitangi bei einhunderteinundsiebzig Einwohnern. Inwieweit diese alle miteinander verwandt sind, ist den Quellen nicht zu entnehmen.

Ich gestehe gerne, dass ich einen romantischen Faible für abgelegene Inseln habe. Mein Favorit war bislang „Tristan da Cunha“ im Südatlantik, das mit zweihundertdreiundvierzig Einwohnern in seiner einzigen und Hauptstadt „Edinburgh of the Seven Seas“ am weitestens abgelegen ist von jeder weiteren menschlichen Siedlung auf unserer schönen Erde. Sogar mit eigener Fan-Gruppe auf Facebook, der ich selbstverständlich seit Jahr und Tag angehöre. Es handelt sich allerdings um Englisches Überseegebiet. Und liegt damit seit dem Brexit noch ein bisschen weiter entfernt. Seit heute morgen habe ich nun also eine Art Alternative, die mir durch die hypothetisch fortgesetzte Nasenachse meines Hundes ein Stück nähergerückt zu sein scheint. Danke.

Good morning Waitangi! Nice to hear from you.

PS: das Foto von Waitangi erinnert mich ein wenig an „mein“ Grønhøj bei Løkken in Nordjütland/Dänemark. Die Sympathien wachsen von Minute zu Minute.

Quelle: https://www.geodatos.net/en/antipodes

Bruno SchulzComment