Wieder da!

Nachdem ich einige Jahre weitgehend auf die Stones verzichtet habe, höre ich heute schon den ganzen Morgen das Livealbum "totally stripped". Mir ging der Bombastzirkus der letzten Dekaden und der späte Mick Jagger mit seinem lachhaft eitlen Tantchengehabe einfach zu sehr auf die Nerven. All die letzten und allerletzten und allerallerletzten Tourneen mit ihren Zweihundertdollarkarten als Remember-Me-Musical in eigener Sache. Satisfaction meets 'Phantom der Oper'. Akustikviagra für postklimakterische Zahnärzte in Zweitausenddollarlederjacken, auf die zuhause eine Hochglanzcustomharley wartet, die noch weniger bewegt wird, als die vernachlässigte Gattin.

Vor ein paar Monaten sah ich dann auf Netflix eine Keith-Richards-Doku, die ich wirklich mochte und darin seine Zweitband, die Xpensive Winos. Es gibt eine Menge Leute und darunter auch professionelle Musiker die sagen, Keith Richards wäre ein sehr schlechter Stromgitarrist. Technisch gesehen mag das sein, ich kann das nicht beurteilen. Er hat allerdings unglaublich viel Gefühl für die Sache. Und für sein Publikum. Und das Songschreiben und das Gesamtkunstwerk. Handschrift. Und Ausdauer über mehr als sechzig Jahre. Diese Distanz schafft man nicht ohne Mission. Ich glaube ihm.

Gestern habe ich ein Meme gelesen, dass er sich vorgeblich despektierlich über Hip Hop ausgelassen habe. Kann sein, oder auch nicht. Vollkommen Wurscht, ich war an. Das Erste, was mir YouTube zu ihm und den Winos anbot, war ein großartig emotionaler Livemitschnitt von 'Gimme shelter'. Au Mann, nach wenigen Takten war mir augenblicklich gegenwärtig, warum genau dieser Song schon immer, seit deutlich mehr als vierzig Jahren mein absoluter Favorit unter allen Stones-Songs war und ist und warum ich diese Band immer so verdammt großartig fand.

Darum heute also als Dauerschleife das Liveding von 1995, das vielmehr an die intimen MTV-Gottesdienste für handgemachte Musik erinnert, als die Riesenstadientapes. EIne unbedingte Empfehlung. Gimme Shelter!

Wir sollten alle darüber nachdenken, was wir Keith Richards für eine Welt hinterlassen wollen.

Bruno SchulzComment