Vorsätze.

"Jeder Vorsatz ist ein Aal und

leichter zu fassen als zu halten."

Das meinte der deutsche Augustiner-Barfüßer Abraham a Sancta Clara bereits Ende des 17. Jahrhunderts und seine kluge Metapher finde ich große Klasse.

Guten Morgen, zweiter Januar.

Heute früh sind, wie ich soeben auf Facebook erfahren durfte, einige konsequente Vertreter der silvestrig Vorsatzfassenden schon an „Tag zwei“ ihrer radikalen Nikotinentwöhnung und damit doppelt so lang clean wie der nicht unerhebliche Teil der Selbstkasteiungswilligen, der die ganzheitlichen Dimensionen des Vorhabens dramatisch unterschätzte und darum nach etwas knapperer Enthaltsamkeit schon wieder die alten Muster bedienen mochte und in die schockbilddekorierte Pappschachtel mit den Sargnägeln griff, um mit dem tiefeingesogenen Nikotin ihren geschundenen Synapsen den Neurotransmitter Acetylcholin vorzugaukeln, was im Belohnungszentrum die Freisetzung von Dopamin stimuliert. Selbstverarschung sozusagen. Wir alle kennen das.

Manche der erfolgreicheren „48-Stunden-Exraucher“ wähnen sich inzwischen am Ende ihres kalten Entzuges und aalen sich im Rausch ihrer halluzinierten Gewissheit, eben härter und konsequenter zu sein, als all die rückfälligen Christiane-Effs und Zoobahnhofskinder unter den Rauchern, die sich scheinbar nicht im Griff haben wollen. Vielleicht brauchen manche diese autosuggestive Erhabenheit. Egal. Hauptsache es hilft.

Wie auch immer, meinen Glückwunsch dazu. Von Herzen. In Gedanken daran habe ich meine eigene Entschlußfassung im Sujet vor Augen und oute mich, in einem Thread kommentierend, als seit geschätzten 15 Jahren "rauchfrei". Nach kurzer Recherche in der Bilddatenbank mit Fahndungserfolg und Blick in die zugehörigen Exif-Daten weiß ich jetzt, dass es Ende diesen Januars sogar 19 Jahre sein werden. Gar nicht schlecht, oder? Ich glaube, ich bin tatsächlich vorerst drüber weg.

Den Schnitt machte ich also 2003. In Ulaan Bataar, der Hauptstadt der Mongolei, wo ich mich damals gerade aufhielt, um in einem Projekt der internationalen Entwicklungshilfe mitarbeiten zu dürfen.

An einem klirrkalten Morgen mit gemessenen, kontinentalklimatischen 40 Grad Celsius unter dem Gefrierpunkt, machten wir einen Ausflug zu einem jener abwechslungsarmen Denkmäler als Dokumente sozialistischer Völkerfreundschaftskultur mit Blick auf die Stadt. Die letzten paarhundert Meter Wegstrecke ging es steil bergan auf Treppenstufen, die alle empirisch begründeten Planungsvorschläge zum idealen Verhältnis von An- zu Auftritt für eine bequeme Begehung verhöhnten. Es kam einer Besteigung der Eiger-Nordwand gleich. Freehandsolo.

Oben angekommen, fühlte ich mich so fertig wie Brotsuppe und erkannte augenblicklich, dass meine konditionelle Verfassung für einen noch nicht einmal Vierzigjährigen kaum passend erscheinen mochte. Keuchend, dampfend, wie ein altes Schulpferd nach einem scharfen, winterlichen Ritt.

Darum vermachte ich nach etlichen Jahren unzählbarer Camel-ohne-Filter sofort alle meine Zigaretten nebst Reservepackungen und der heimlichen Reserve der Reserve, wie auch den Nottabak zum Selbstdrehen und alle Feuerzeuge den nicht schlecht staunenden, umstehenden Einheimischen: "jetzt ist Schluß!".

Und siehe da, es ging diesmal tatsächlich ganz leicht. Und das nicht nur, weil ich es wie Mark Twain ganz routiniert schon vorher mehr als fünfzig Mal getan hatte.

Es wirkte diesmal tatsächlich bis auf den heutigen Tag. Gelernt habe ich für mich, dass ich besondere Entscheidungen am besten mit besonderen Gelegenheiten verbinde. Denn so entsinne ich mich auch leichter der Ursachen. Und dass es dazu keines Jahreswechsels bedarf. Eine Art Eselsbrücke. Denn so kann eigentlich jeder Tag Silvester sein. Wenn man nur will. Und nicht nur in Sachen „Rauchen“.

Motiv: … vor dem "Chez Bernard" in Ulaan Bataar im Januar 2003 - noch mit den letzten Fluppen in der Brusttasche.

Bruno SchulzComment