Hamburger Chef nimmt keine jungen Leute mehr: „Müssen nach 6 Stunden zum Yoga“

... oder: von Missverständnissen in Generationen.

„Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten“ (Babylonische Tontafel, ca. 1000 v. Chr., entdeckt bei Watzlawick, 1992)

Ich erspare uns hier den inflationär bemühten Sokrates und auch die vielen anderen jammernden Kritiker mit ihren deckungsgleichen Plädoyers aus allen Epochen.

Ganz ohne den Blick auf die Generationen kann eine Auseinandersetzung mit dem Thema und der seltsamen Überschrift allerdings nicht gelingen, unter der die Redakteurin Ulrike Hagen am 18.6.2022 ihren Beitrag zur unterschiedlichen Perspektive auf Leistungsfähigkeit und -bereitschaft auf Hamburg24.de veröffentlichte.

Finden wir ein paar Parameter: der allgegenwärtige „Boomer!“-Vorwurf erklingt heute immer häufiger, weil sich der oder vermehrt die Postulierende so vermeintlich abgeklärt darin wiederfindet. Wohl eher allerdings im dümmlich grimassierend, mit patzig vorgeschobenem Unterkiefer geformten und nur vermeintlich cool reflexten Klangbild, als in jeder auch nur halbwegs sachlich stichhaltigen soziologischen Einordnung. „Boomer“ ist der vereinte wie vereinende Schrei einer diffusen Masse als „woke“ Selbstdeklarierter, die sich lieber über diskreditierende Ab- und Ausgrenzungen referenziert, als mit klaren Inhalten und Botschaften zu überzeugen. Es geht um Feindbilder: „Nerds“, „Geeks“, „Silberrücken“, „dicke, weisse, alte CIS-Heten, „Boomer!“ … die „anderen“ eben, die mit stereotypen Positionen überzogen werden, weil alles, was man anderen vorwirft einen selbst nicht treffen sollte. Die „Boomer“ haben Geburtsjahre bis in die frühen Sechziger hinein und sind demnach heute schon alte Leutchen von sechzig und mehr Lebensjahren. Menschen, die sich soeben sukzessive in den Ruhestand verabschieden. Es wirkt ziemlich bizarr, sich gerade an denen abarbeiten zu wollen. Also weiter.

Den inzwischen allgemeinen Kriterien und der Sachchronik entsprechend, muss ich mich selbst der boomernachfolgenden, sogenannten „Generation X“ zuschlagen lassen. Gemäß dem Stand soziologischer Forschung, die erste Generation des zwanzigsten Jahrhunderts übrigens, in der mehrheitlich beide Eltern berufstätig waren. Und das ohne bis dato existente, außerfamiliäre Betreuungsangebote. Was ein Glück! Die Generation „Schlüsselkind“ hat nach Schulschluss mehrere Stunden frei von Erwachsenenaufsicht verbringen dürfen, was in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den westlichen Industrienationen eher die Regel, denn die Ausnahme war. Es finden sich hier und da Erfahrungsberichte von Verlorenheit, aber eben auch eine eindeutige Entwicklung zu erheblich größerer Eigenständigkeit. Bücher, Musik und Kinofilme waren wichtig. Aber wohl auch, weil sie als Zeitfresser verfügbar waren, als es das Internet, Smartphones und Computerspiele noch nicht gab. Nicht einmal ein tragfähiges Fernsehprogramm, es sei denn, man gab sich mit Bonanza und der Sesamstraße zufrieden, oder mit dem nerdigen Telekolleg „Mathematik“ auf den Dritten, mit denen man besser biss als schaute. Die „Generation X“ wird oft mit den Begriffen „Zynismus“ und „Nihilismus“ in Verbindung gebracht. Die Populärkultur war seinerzeit jedenfalls mehr ironiegetragen, als die Heutige konsumgetrieben daherkommt.

Auf jeden Fall ist deren Umgang mit den späten „Millenials“ und den „Zoomern“, den ersten vorgeblich echten „digital natives“, unschwer als kompliziert vorhersehbar. Wenn eine Generation, die es gelernt hat, die Dinge ziemlich unabhängig zu besehen und darin eigenständig kritisch zu bewerten und entsprechend selbständig zu handeln, auf eine übernächste, gepamperte Kohorte trifft, die sich vor allem dadurch auszeichnet, selbst eher „kritiksensibel“ wenn nicht sogar „-allergisch“ zu reagieren, als Augenstern der ganzen Familie mit maximal einem ‚Geschwist‘, ungeübt darin, auf Widerstand zu treffen, oder diesen auch noch leisten zu müssen.

Wenn‘s nicht gleich hunderprozentig rund läuft, lässt man sich eben abholen. Helikoptern. Kindergarten, Schule, Uni, Praktikum, Job … ganz egal. Verantwortung wird selten gelebt, sie wird nicht einmal bewusst abgegeben oder übertragen, sie wird einfach geflissentlich ignoriert. Es wird ausgewichen: Gesprächen, Herausforderungen, erstrecht Problemen, allem Unangenehmen, was keinen Komfort und keine Wellness verspricht. Zur Not im kreativen Umgang mit Wahrheit. Da werden in den Arbeitszeiten so oft und so lange Fachärzte konsultiert, dass man fast von einer „Echtzeitdiagnostik“ sprechen könnte. Moralinventur à la minute. Neben den gesellschaftstypischen Herz-/Kreislauferkrankungen wird die Freitags-/Montagsschwäche zu einer wirtschaftrelevanten gesundheiltlichen Geissel unserer Zeit. Arbeitgeber sollen sich heute eine einseitige Freundschaft erkaufen. Sie sollen gefälligst dafür bezahlen, nett sein zu dürfen. Auf Gegenseitigkeit? Wo kämen wir denn da hin? Arbeitszeiten sollen flexibel sein und sich den Bedürfnissen anpassen. Natürlich nur den eigenen. Da will eine Dreitagewoche durchgedrückt werden. Aber auf keinen Fall dann, wenn das Unternehmen unter Druck ist. Dann doch lieber im Leerlauf, bevor es zu chronischen Stressymptomen ausartet. Natürlich ist es gut und es spricht auch überhaupt nichts dagegen, wenn ein Arbeitgeber hyperfluide Arbeitszeiten anbieten kann. Mancher Menschen Biorhythmus verbietet es eben, vor 10 Uhr aufzustehen. Und manche möchten morgens eben gerne noch Sport treiben oder sich um die Familie kümmern. Das alles ist Privatsache und vollkommen legitim. Nur lässt sich eben doch nicht alles über einen Kamm scheren. Bäckereien, Kranken- und Altenpflege, Gastronomie, Hotellerie und der Freizeitbereich und viele mehr: es gibt eine Menge Themen, die eingebettet bleiben in den Lauf der Dinge und ihrer Zeit - Aufgaben die in Routinen erledigt seinn wollen.

Der Volksmund spricht oft von „Work-Life-Balance“. Diesen Begriff als Synonym für Trägheit zu missbrauchen ist Quark, denn der proklamierte Ausgleich muss selbstverständlich sein, weil gute Leistung eben einen Rückraum verlangt. Substanz. Regeneration. Ausgleich. Inspiration und vieles mehr. Über alle Generationen.

Nennen wir die eigentliche und nervige Herausforderung lieber „Work-Life-Separating“. Ob das gut gehen kann, bleibt offen. Die Zoomer unterstellen sich gerne selbstgerecht und eher unterkomplex, eben nur soviel zu arbeiten, wie sie für ihr schönes Leben im „Hier und Jetzt“ bräuchten. Darauf einen Weißburgunder, der tut keinem weh. Sie hätten begriffen, dass sie den Lebensstandard ihrer Eltern mit Arbeit nicht mehr erwirtschaften könnten. Dabei unterschlagen sie geflissentlich, dass sie das ja auch gar nicht müssen, weil sie bereits darin groß geworden sind und das Ergebnis aus ihrer Dreitagewoche ja nur brauchen, um den geerbten Motor halbwegs zu schmieren laufen zu lassen, weil es eine nächste Generation ja möglicherweise schon gar nicht mehr gäbe, selbst wenn man diese gerade im stylischen Luxuskinderwagen instagramdokumentiert vor sich herschiebt.

Was den Umgang miteinander so schwierig macht, ist die Befähigung zur hochelastischen Realitätskrümmung und die Begabung, die Wirklichkeit einfach an- und auszuschalten. Eigenhypnose und mantrahafte Selbstsedierung. Ganz nach Bedarf und Befindlichkeit. Und der Mangel an Erkenntnis, dass es ohne Entwicklung und eine gewisse Dynamik nicht gehen wird. Ist das das Ergebnis der immer wieder kolportierten „Wohlstandsverwahrlosung“ der verweichlichten Zentraleuropäer nach Jahren der gesteuerten Verhaltensstarre in einer Art Konsum-Wachkoma? Mal sehen, was Generation Alpha bringt, denn die kommt jetzt.

Mein Fazit: „Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“ Alle Bilder sind allenfalls Tendenzen und manchmal ist es auch nur eine Frage von Vokabular und Grammatik. Das Synchronisieren von Aus- und Aufsichten. Denn auch „wir Alten“ müssen uns verändern, was nicht jedem gerade leicht fällt. „Einem alten Zirkuspferd bringt man keine Tricks mehr bei?“ Besser doch, wenn es zusammen weitergehen soll. Und das muss es.

Zudem sind ja nicht alle gleich. In keiner Generation. Was ein Glück!

Was meint Ihr?

Bruno SchulzComment