Maßregeln.

Das Wort „maßregeln“ ist, so finde ich, per se eine schöne Vokabel. Es läuft schön durch den Mund, wenn man es ausspricht und dabei bewusst betont. Der Duden klassifiziert das Wort als als rar. Das bedeutet bedeutet, dass es durchschnittlich seltener als ein Mal in einer Million Wortformen des Dudenkorpus belegt ist. Nicht eben eine blaue Mauritius, aber halt auch gewiss nicht alltäglich in einem Zeitalter sprachlicher Verrohung.

Grundschüler sollen künftig bis zur 4. Klasse immerhin noch einen verbindlichen Wortschatz von mindestens 700 Wörtern beherrschen. Einzählen dazu schon hundert Funktionswörter wie „und“ oder „wieder“, die in unserer Sprache am häufigsten vorkommen. Wer die reale Situation verfolgt, erkennt die Frömmigkeit des Wunsches und des Ansinnens.

„Erwachsene Menschen in unserem Land hatten mal einen durchschnittlichen aktiven Wortschatz von etwa zwölf- bis sechzehntausend Wörtern“, erfahren wir aus dem Dudenverlag in Mannheim. Das verschiebt sich gerade in der letzten Dekade erheblich. Passiv beherrschten sie mal etwa fünfzigtausend Vokabeln. Eine konkrete Bemessung des Gesamtvolumens des deutschen Wortschatzes gibt es nicht. Halbwegs seriöse Schätzungen reichen von dreihundert- bis fünfhunderttausend. Was auch an den ständigen Neuschöpfungen, Verdeutschungen und der Begabung unserer Sprache zu Multikomposita liegen sollte.

Genug gesinnwandert und mehr oder wenig geistvoll herumvagabundiert, zurück zum ‚maßregeln‘: das steht laut Duden dafür, „jemandem eine offizielle Rüge zu erteilen“, beziehungsweise ihn „durch bestimmte Maßnahmen zu bestrafen“.

So selten das Wort ‚maßregeln‘ selbst laut Duden verwendet wird, so häufig findet die umschriebene Handlung in den sozialen Medien ihre Anwendung. Besonders auf Facebook wird besonders gerne ‚gemaßregelt‘. Mal abgesehen von den großen, wirklich wichtigen Themen, die tatsächlich eine echte und verbindliche Haltung nebst Statement erforderten, ist die kanaltypische ‚Maßregelung‘ - auch das Substantiv ist ein schönes Wort - eher im Kontext von Mikro- und Nanoempörungen in Gebrauch. Ironie, Sarkasmus und Frotzelei finden die meisten Zeitgenossen nämlich nur außerhalb des eigenen Mindsets lustig. Wird die eigene Komfortzone, das eigene Weltbild, die persönlichen Ikonen berührt, kann kein Vergleich groß genug sein, kein Vorwurf hinreichend laut und relevant für das gesamte Menschengeschlecht.

Keine Projektion gerät zu peinlich. Da wird ein harmloses Belächeln und Bespötteln zum „rigorosen Abarbeiten“ und krankhaften Fokussieren. Bestätigt und beteuert durch eine Fankurve, die in einem kurzen Orgasmus nach noch kürzerer moralischer Scheinentrüstung erschauert und der selbstbenickenden Erkenntnis, dass das jetzt wohl überfällig war, das das alles jetzt einmal gesagt werden musste. Jawoll!

Ehrlich Leute? Geht’s noch? Wie oft habe ich euch selbst je gemaßregelt? Ich meine außerhalb der behandlungspflichtigen Schwurbeleien und reaktionären Strecken? Nie? Ihr meint, weil es da nichts zu maßregeln gäbe? Das wäre womöglich eine Eigendiagnose, die ein bisschen zu tief blicken ließe. Lassen wir es lieber gut sein damit.

Und jetzt? Katzenbild?

Bruno SchulzComment