Mach den Mund zu.

Mach den Mund zu.

So, nach mehrmaliger Aufforderung von Freunden und Bekannten, habe ich mir die Rede von Claudia Pechstein also doch noch vollständig angehört. Und ich finde sie ehrlichgesagt nicht ganz so brillant wie der selbstfliegende Blackrockapologet Merz sie rezipieren mochte, ganz im Gegenteil.

Mein allererster Eindruck der allzu schlichten Darbietung war eher mitleidgeprägt, erinnert das Ganze doch sehr an schulische Routinen, in denen sadistische Pseudopädagogen zuverlässig die Allerschwächsten zum Vortrag vor die Klasse zitierten, um sich an deren Scheitern zu laben. Gruselig!

Aber Pechstein nimmt Fahrt auf, findet ihren bockigen Rhythmus und offenbar Gefallen daran, ihren banalen Aufsatz als Aufzählung mit Patschefingerchen einszueins vom Blatt abzulesen, wie ein nur mäßig genesener Schlaganfallpatient. Sie bremst sogar sichtbar konditioniert an den Stellen ein, an denen ihr eine Pause auf‘s Blatt markiert wurde, einundzwanzig, zweiundzwanzig und strahlt wie ein protestantischer Putzeimer für den artigmilden Applaus eines Publikums in tiefer Fremdscham, aufrichtiger Empathie, in der Mehrzahl wohl aber leider in vollkommen desensibilisierter Gesinnungsgleiche.

Und damit wären wir auch schon bei den Inhalten, auf die ich gar nicht näher eingehen mag, weil sie doch allzu sehr die durchsichtig einstudierten Arbeitsergebnisse eines imaginären Anfängerwochenendworkshops in Rhetorik einer thüringischen AfD-Gaugruppe für Unbeholfene mit Schlagworten aus den unteren Schubladen der braunen Kommode wiederspiegeln mit dem auffällig misogynen Titel: „jeder kann argumentieren lernen, sogar Frauen.“

Klar, ich höre meine Kritiker schon maulen: „die Frau ist Leistungssportlerin, die muss nicht reden können.“ Warum in Dreiteufelsnamen tut sie es dann? Und dann auch noch in Polizeiuniform? Ja ok, sie ist Polizistin. Aber zum Glück sind ja nicht alle Polizisten Claudia Pechstein. Sie ist stolz auf ihre Truppe, aber kann die auch stolz auf ihre „Repräsentantin“ sein? Ich bin mir da nicht so sicher. Und natürlich ist die Uniform ein alberner Kniff, denn der paraphile Deutsche atmet mit ihr die Amtlichkeit der Durchsage. Richtig? Kann befohlen werden.

Muss man sich darüber ärgern oder sogar aufregen? Ach Quark. Das alles war und ist so erwartbar wie der mayonnaiselastige Nudelsalat von Homann aus dem Eimer auf dem Buffet der Swingerparty von Tante Mandy und Onkel Ronny.

Doch nachdem Pechstein ein bisschen volksnah rumgehitlert hat zwischen Z-Schnitzel, Genderstern und xenophoben Stereotypen, kommt sie mit einem Thema auf die Bühne, das mich regelmäßig ankotzt: die subjektive Wahrnehmung von Leistung, das sie auch noch mit der dumpfbräsigen Verbalflatulenz des einstigen Amigokanzlers Kohl konnotiert, also kohlnotiert sozusagen: „Leistung muss sich wieder lohnen.“ Aha. Wessen Leistung, für wen, wann und warum?

Ja, die Frau war Olympiasiegerin. Das ist anstrengend, ganz sicher. In einer Disziplin, die nicht nur in Hinsicht auf die abschmelzenden Polkappen so sinnvoll erscheint, wie ein zweites Arschloch: der Eisschnelllauf. Soll sie machen, aber auf welcher Grundlage will sie Geld von uns dafür? Hat man sie nicht hinreichend gefördert? Hat man sie nicht verbeamtet auf Lebenszeit, auf dass sie, von der Gemeinschaft abgesichert ,für ein paar Jahre ihrer wenig gesellschaftsrelevanten Leidenschaft nachgehen darf? Das ist in mehr als neunzig Prozent der Länder auf unserem Globus ein fast unwirkliches Privileg. Aber Pechstein fordert Geld für Gold. Und mancher springt ihr mit einer reichlich müden und überholt nationalstolzen Exzellenztheorie zur Seite. Dann sollen genau die diesen Quatsch auch finanzieren. Aus der eigenen Tasche, bitteschön.

Mir stößt dieses manieren- und sinnbefreite Gequake besonders sauer auf, wenn ich an die vielen tausend Menschen in den sozial relevanten Berufen denke: Krankenschwestern und -pfleger, Erieher und Erzieherinnen, Altenpfleger und -pflegerinnen, Lehrer und Lehrerinnen, bei den Feuerwehren und ja, auch bei der Polizei. Und an jeden, der einer regelmäßigen Arbeit nachgeht, um sich in die Gemeinschaft einzubringen und nicht nur deren Rahm abzuschöpfen.

Der Merz findet das alles also brillant, die Pechstein spricht mit Volkes Stimme? Eine solche Erkenntnis lässt vor allem eines durchscheinen: der Mann ist im Herzen Populist und nicht regierungstauglich.

Fazit? Pechstein, mach den Mund zu - es zieht. Von rechts. Und das gewaltig. Bäh!

Bruno SchulzComment