im Wandel

Im Wandel.

In inzwischen über zwanzig Jahren Social Media und mehr als zehn davon auf Facebook habe ich einige Entwicklungen erlebt: technische und rechtliche, inhaltliche, in der Art und Weise des Umgangs miteinander und bei den Menschen selbst.

Fremde Profile, eigene Profile, glommen auf, leuchteten eine zeitlang, verloschen und verschwanden wieder. Ich habe tolle Menschen kennenlernen dürfen und echte Arschlöcher. Solche, die erst toll zu sein schienen und es dann doch nicht wirklich waren, aber auch Leute, die sich zunächst nicht optimal präsentierten, dann aber noch gewaltig „nachreiften“.

Mein aktuelles Facebookrofil mit inzwischen wieder rummdiedumm achttausend Followern startete am 14. November 2016, vier Tage nach meinem einundfünfzigsten Geburtstag, zu dem mir die Hausmacht die vorige Präsenz schredderte und den Weg frei machte für eine weitere, runderneuerte wie altlastenbefreite Episode auf diesem Kanal. Lazarettchirurgie für den eigenen Output, mit dem Schnitt weit im Gesunden.

Das kannte ich bereits aus einigen „Neustarts“ zuvor, irgendwas ist ja immer, Reglements, Befindlichkeiten. Man wird gelassener, fast wie im echten Leben. Dinge verändern sich und wir uns mit ihnen. Und der Content. Mein Fazit? Ich kann mich nicht entsinnen, dass jemals auch nur irgendetwas so heiss gegessen worden wäre, wie es aufgekocht wurde. Vergesst mein Geschwätz von gestern und ich mache das mit Eurem.

Daneben gibt es seit dem 12.September 2010 noch neine Facebookseite mit mehr als fünfundzwanzigtausend Followern und von Zeit zu Zeit einem Vielfachen an Besuchern, wenn man denn den Meta-Statistiken glauben schenken möchte. Ich erwähne die Seite, weil sie umfangreicher ist, gewachsener, oft persönlicher und weil ihr eben viel mehr und auch ganz andere Leute folgen. Das wird dann spannend, wenn ich auf Profil und Seite Kopien ein und desselben Posts platziere und sich die jeweiligen Threads eskalierend verselbständigen.

Kürzlich habe ich gelesen, die menschliche Aufmerksamkeitsspanne wäre von zwölf Sekunden im Jahr 2000 auf inzwischen unter acht Sekunden geschrumpft wie ein männliches Genital zum Neujahrsanbaden des Polarbärenclubs in der niederländischen Nordsee zu Zandvoort, während die eines Goldfischs bei immerhin neun Sekunden einzuordnen sei. Eine häufig kolportierte 'modern urban legend' in halbgaren Printmedien, um uns den Konsum des digitalen Wettbewerbs einzusäuern. Und doch scheint da auch irgendetwas dran zu sein. Die Leute schaffen kaum mehr, als drei oder vier Zeilen Titel und Teaser zu überfliegen, um keywordgetriggert kontextlos freizudrehen. Es interessiert kaum noch, was da steht, aber dafür, was unbedingt runter muss von der eigenen Leber. Die schamfreie Exposition des psychischen Unrunds in die fremde Kommentarspalte als Reflex auf den befindlichkeitsgenehm interpretierten Impuls.

Die Qualität jeder Pointe bemisst sich nur noch an der stark verjüngten Perspektive der Rezipienten. Alle Deutungshoheit gedeiht auf Zehenhöhe der Ikea-Design-Auslegeware: „Warum zwei Sichten auf eine Sache, wenn es doch meine gibt.“ Das traurige Ende jeder Ambiguitätstoleranz.

Schlimm? Nein. Nicht solange die Reflexionsunwilligen den Postenden nicht bedeuten wollen, was dieser eigentlich meint oder besser noch, zu meinen habe. Unterstützt von einer Bande gefallsüchtig sekundierender Komplizen ohne jedes Rückgrat. Die eingepinkelten Frettchen.

Ein luftdichter Mikrokosmos, in dem Frustrierte sich gegenseitig warmsingen in ihrem Kanon vermeintlich woker Rechtschaffenheit. Der eine Teil, der mit den warnsignalisierend selbstgewählten Phantasienamen und Pseudonymen oder Fakeprofilen aus kurzgesprungener Überzeugung, der andere, um endlich schmerzhaft überstehend auch mal einen Punkt zu machen. Ohne jede Kenntnis des eigentlichen corpus delicti. Egal, Hauptsache endlich mal wieder einen raushauen. Chihihi. Sie wollen so sehr bei den chronisch Beziehungsgescheiterten landen, die dafür ganz genau wissen, wie Menschen miteinander umzugehen haben, als würden Blinde den Goetheschen Farbenkreis erklären.

Eine muffige Ortsteilschulturnhalle gedanklicher Unbeweglichkeiten im kalten Schweiß von Generationen an chronischen Besserdeutern. Ein Panoptikum der Unzufriedenen und Zurückgesetzten, die Erlösung suchen in der boshaften Diffamierung und Diskreditierung Dritter zur Selbstheilung. Die ihre selbstgestellten moralischen Hürden schmerzfrei reissen, wenn es um ein Absauen des Kontrahenten geht. Da fangen selbst von Sexismus dauergestresste Protagonistinnen an zu bodyshamen, was das Zeug hält. Und Dunning-Kruger feiert mit.

Naja, was kümmert es die stolze Eiche, wenn sich ein wesenshässliches Warzenschwein an ihr reibt? Eben! Allerdings gilt auch hier, wie in Omas guter Stube: Scheiße auf dem Sofakissen, wird man wohl entfernen müssen … ignorieren, löschen, blockieren und ganz schnell vergessen, bevor sich die ätzende Säuernis in das eigene Gemüt frisst.

Mein Fazit. Ich widme mich lieber den schönen Dingen und halte es mit der NHL-Legende Wayne Gretzky: „Ich laufe dorthin, wo der Puck sein wird, nicht dorthin, wo er war“… mache es wie die Sonnenblumen, die sich lieber der Sonne zuwenden, als den Kuhfladen.

Euch allen ein schönes WE.

motiv: kyle glenn @ unsplash.com

Bruno SchulzComment