Von Äpfeln, Birnen, diesem und jenem.

Heute morgen fand ich in meinem Newsstream, als besinnlichen Post meines langjährigen FB-Bekannten Andreas Gärtner Gust, das Bild einer Hochbetagten mit einem Neugeborenen. Mein Bekannter hat manchmal erstaunlich emotionale Momente und weiß damit regelmäßig sein einschlägiges Publikum zu begeistern.

Seine Lebensabschnittsgefährtin Claudia Gosch ist aus guten Gründen reichlich wetter- und kratzfest, schlagfertig und verkündete sogleich im anhängigen Kommentarstrang, dass sie das Motiv augenblicklich an die einundfünfzigjährige Cameron Diaz erinnerte, die kurz zuvor Mutter geworden sei. Ein Brüller. Trocken. Knapp. Hart. Absurd. Dachte ich und wollte das der Nachwelt nicht vorenthalten. Doch da hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Das Motiv funktioniert auf mehreren Ebenen. Leider nicht für alle. Die Abstraktionshürde kann oder will nicht jeder meistern. Wir kennen das inzwischen leidvoll von den grauenhaften Kollateralschäden aus missglückter Ironie und unerkanntem Sarkasmus in den sozialen Kanälen. Nein, da geht es nicht um Fehldeutung - eher um Null-Deutung. Viele Zeitgenossen nehmen einfach alles eins zu eins. Das wäre nicht schlimm, wenn sie das nicht auch noch sofort auf sich selbst bezögen. Ohne jeden Perspektivwechsel und kräftig krawallgebürstet mit heftigem Empörungsreflex. Immer schön im Tunnel und auf Sicht fahren.

Jahaaa, die augenscheinliche „Nullebene“ schenkt uns eine simple wie tröstliche Metapher auf die Vergänglichkeit des Lebens: „tempora mutantur, nos et mutamur in illis“ - die Zeiten ändern sich und wir ändern uns in ihren, wie römische Philosophen für die Ewigkeit statuierten.

Sehr ergreifend: alte Leute und Kleinkinder „counten“ immer, wie der mit allen Wassern gewaschene Werber weiß. Fehlt eigentlich nur noch eine kleine Katze oder ein Hundewelpe, also eine Fellnase, die die Oma kuschelnd über die Regenbogenbrücke begleiten. Ja, aua, ich weiß, das gibt wieder auf die Fresse.

Einige schienen sich mit der Greisin identifizieren zu wollen oder vielmehr mit deren dahergelästerten alter ego, Cameron Diaz. „Frauen sollen gefälligst ihre Kinder bekommen, wann sie wollen. Ich habe selbst …“. Von mir aus! Macht doch bitte alle, was Ihr wollt.

Es wurde natürlich auch gleich noch nachgeschoben, dass Männer doch auch bis ins hohe Alter Väter würden. „Wo bleibt die Gleichberechtigung?“ Auf der Strecke der Natur, vielleicht? Ehrlich? Auf diese Nonsensediskussionen um eingeschnappte whataboutismen lasse ich mich nicht mehr ein. Mit solcher Humortaubheit prügelt man jede noch so schlanke Pointe binnen Sekunden windelweich. Zumal genau das Thema der späten Vaterschaft erst kürzlich unter einem Post alle super fanden - „Liebe findet immer ihren Weg“ - solange der rüstige Besamer Mick Jagger hieße oder Charles Chaplin und nicht etwa Roberto Cavalli, dem viele „späte Mädchen“ doch immerhin ihre Animal-Print-Leibchen zu verdanken haben, aber lassen wir das. Das Fass bleibt hier lieber zu.

Allein mein zuverlässig robuster Kamerad Johannes Kraus wusste wie so oft noch einen draufzusetzen: er mochte in der Seniorin nebst Kleinstkind Heidi Klum mit einem neuen Freier erkannt haben. Ist er wahnsinnig? Mit Klarnamen und Adresse? Dafür wird er wenigstens an seinen Testikeln um einen oberpfälzischen Anger geschleift oder sie skandieren voller Inbrunst, um „Asterix und Obelix bei den Schweizern“ zu zitieren: „In den See, in den See, mit Gewichten an den Füßen!“ Ganz schön mutig. Und ziemlich lustig. Finde ich.

Zurück zum miteinander identifizieren. Ich finde es tatsächlich interessant, wie schnell so viele Leute sich scheinbar so flott in das Bild einer wildfremden älteren Dame nebst Neugeborenen einzufühlen vermögen. Erstaunlich, wo das doch in erheblich gegenständlicheren Situationen nicht so recht zu gelingen scheint. Wenn der jüdische Mitbürger aus der Nachbarschaft bedroht wird, schauen ja viele in guter deutscher Tradition lieber mal gelassen drein oder gleich weg, um bei der nächsten, öffentlichen Gelegenheit zum gemeinsamen, entlastenden Gewissensbeleg ihre einstudierten Betroffenheitsgesten aufzuführen und mit einer Träne im Knopfloch kundzugeben: „nie wieder ist jetzt.“ Soso. Das Mitgefühl mit den Opfern des 7. Oktober war schnell verklungen. Auch da gab es Bilder von Großmüttern und Kleinkindern. Darunter auch Holocaustüberlebenden. Vielleicht macht das ja den Unterschied? Außerdem waren die auch nicht so einfühlsam lichtbilddokumentiert, so ganz ohne Kopf oder in Brand gesteckt. Das versaut einem ja glatt mal den ganzen Tag oder die mentale Einstimmung auf den nächsten Yogakurs. Dafür steigt man lieber nicht in den Ring. Auch wenn sie an deutschen Hochschulen schon mit rotbemalten Händen rumlaufen und mit dem kanonbesungenen „river to the sea“ die Abschaffung Israels postulieren.

Zu sauertöpfisch? Finde ich nicht. Für viele war ja schon der eingangs präsentierte harmlose Scherz Grund genug aus der (selbst-) gerechten Haut zu fahren.

Nachdenklich.

Danke fürs mitlesen.

Bruno SchulzComment