Das Ende der Menschheit?

„Ein Atomkrieg wäre wohl das Ende der Menschheit.

Er hätte aber vermutlich auch seine Nachteile.“

Von Ironie, Sarkasmus, Zynismus, Wort-Bild-Scheren und ähnlichen, gewaltigen Hürden gedeihlichen Miteinanders.

Die öffentlichen sozialen Medien jenseits „privater Posterei“ und dem Austausch von Tierkindermotiven oder der mal mehr und mal weiger charmant cachierten Signalisierung von Paarungsbereitschaft offenbaren, was man in der eigenen Blase und Echokammer nicht immer anzunehmen wagt: die gnadenlose, galoppierende Inflation an Schlichtheit. Der Triumph des Banalen.

Das wäre nicht weiter tragisch, fühlten sich deren Vertreter nicht regelmäßig dazu berufen, ihre hausmeisterlich cordbehüteten Verhältnisse als Maßstab klarzustellen und alle Welt darin verbindlich erheblich grober aufzurastern, als diese es tatsächlich verdient hätte. Willkommen in der rechtmeiernden, binären, nuancenarmen Welt kleinbürgerlich miefiger Schwarzweisssicht.

Was macht man mit solchem Erkenntnisgewinn? Klein beigeben, um des lieben Friedens willen? „Verantwortung“ übernehmen und den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen und aushalten? Ein Leben in Duldungsstarre, ganz wie die treue und gut sozialisierte Fellnase, wenn ihr der Tierarzt schmerzhaft die Analdrüse entleert, nur um das Gegenüber in seiner Tunnelfahrt auf Sicht nicht etwa zu irritieren? Ich weiß es nicht.

Um die Unterschiede von Ironie, Sarkasmus und Zynismus kurz und knapp aufzufeinern, hat mal ein Freund besinnter Verknappung statuiert:

„Poesie ist die Sprache der Liebe,

Sarkasmus die Sprache der Ehe,

Zynismus ist die Sprache der Arbeit

und Ironie die Sprache der Geschichte“

Die Ironie ist ein Stilmittel, der Sarkasmus birgt immer die destruktive Absicht und der Zynismus dokumentiert das subjektive Verhältnis zu gesellschaftlichen und moralischen Normen, indem er diese zwei- und mehrdeutig verlächerlicht.

Damit ist eigentlich alles gesagt und wer die Differenzierung tatsächlich noch weiter auffasern möchte, möge bitte googlen: es finden sich zahllose Abhandlungen in allen Graden zeitgenössischen Leseverständnisses.

Warum ich mich hier wieder mal so unbequem wortreich, elegisch ausbreite? Es ist vermutlich die Freude am Paradoxon der Empathie.

Als ich gestern in meinem Newsstream das Bild einer Hundertjährigen auf ihrem palliativen Lager vorfand, in ihren Armen den Ururenkel oder Urururenkel, und lachen musste über die schöne Wort-Bildscheren zweier Facebookfreunde, das Motiv der Greisin nebst Neugeborenem erinnere an die kürzlich spätgebärende Cameron Diaz beziehungsweise es werfe die Frage auf, ob Heidi Klum schon wieder einen neuen, noch jüngeren Freier habe, stieß ich zugleich das Tor zu absoluter Finsternis, das Fenster zum Nirvana. Die schlichte Abstraktion des Absurden war nicht von allen zu meistern:

„Wie kannst du nur so unempathisch sein?“

Das gefühlig überbedeutsamte, ach so private und darum von 'Associated Press' verteilte Lichtbilddokument zum 'Kreislaufs des Lebens‘ zu demontieren für meine schale Witzelsucht? Tja, ich halte es da ehrlichgesagt auch weiterhin gerne mit Horaz, der lieber einen Freund opfern mochte, als eine gute Pointe. Spaß beiseite.

Und wo ist jetzt bitte das Paradoxon? Aber da ist es doch, bitteschön: der Vorwurf der Empathielosigkeit ist durch die schlichte Ignoranz, den unfall- oder krankheitsbedingten Verlust oder die gar nicht erst angelegte Fähigkeit zur wohlmeinenden Dechiffrierung von Ein- oder Mehrdeutigkeiten selbst der Beleg eines Mangels daran. Es ist der Unwille, oft aber auch die Unfähigkeit, sich auf das Gegenüber einzustellen. Es kann also ziemlich unempathisch sein, dem Gegenüber Empathie abzusprechen. Manchmal ist es selbstgerecht, nicht selten pathologisch, es gibt einige interessante, israelische und französische neurologische Untersuchungen dazu. Die jüngsten bringen bahnbrechende Erkenntnisse in der Autismusforschung.

Man nimmt ja immer nur allzu gerne an, dass das Gegenüber die Bedeutung von Wörtern und die Grammatik soweit einigermaßen im Griff hat und darum auch jeden Satz halbwegs verstehen sollte. Pustekuchen! Die Ironie ist ein feines Beispiel dafür, wie Gesagtes und Gemeintes auseinanderklaffen.

Unter anderen Fachleuten beforschen Linguisten das Phänomen und bezeichnen es als „indirektiven expressiven Sprechakt“. Die Ironie belegt, dass linguistische Regeln ganz offensichtlich bei weitem nicht ausreichen, Äußerungeb auch wirklich zu verstehen. Es geht immer auch darum, die Semantik des Satzes zu greifen.

Und? Tadaaa ... das geht eben nur mit Empathie. Eine psychologische Erklärung dazu liefert die 'Theory of Mind'. Per Definition des Psychoanalytikers Peter Fonagy bezeichnet diese die „Fähigkeit, das eigene Verhalten oder das Verhalten anderer Menschen durch Zuschreibung mentaler Zustände zu interpretieren“.

Das ist allerdings offenkundig nicht jedem gegeben. Man könnte an dieser Stelle noch eine Huhn-Ei-Frage anknüpfen. Aber dazu bin ich gerade viel zu empathisch. Außerdem muss ich jetzt geläutert aufstehen.

Guten Morgen.

Bruno SchulzComment