"Der Bus kommt heute nicht mehr"

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„Ich mag ihn eigentlich gar nicht mehr anrufen.“ „Warum lässt Du Dich dann von ihm abholen?“ „Weil es schon immer so war.“ Landhochzeit. „Der Bus kommt heute nicht mehr.“ „Das ist ja eine tolle Überraschung.“ Die Party ist vorbei. „Der letzte ist schon lange weg und bis ein neuer Bus kommt, wird es noch eine ganze Weile dauern. Aber der Bus, auf den Du hoffst … der wird Dich nicht mitnehmen. Der ist abgefahren.“ Angetrunkene Erkenntnis ist wie das Leben in einem Hieronymus-Bosch-Gemälde. Die Konfrontation mit solchen Realitäten und der reichliche Sauerstoff in den frühesten Morgenstunden sind wie ein herzhafter Schlag mit dem nasskalten Waschlappen mitten auf das übermüdete Gesicht. „Aber man hat mir 4 oder 5 Zeiten genannt. Ganz sicher, hieß es … bleib noch ein bisschen, es ist doch gerade so schön. Nimmste halt den nächsten …“ „… man hat Dich angelogen. Ich habe Dich gesehen. Vorhin. Auf der Hochzeit. Ihr habt am Tresen gestanden. Du und die Jungs …“ „Bei den Griechen hat man die Überbringer schlechter Nachrichten umgebracht …“ „Das könntest Du natürlich tun. Und vielleicht hilft es dir auch für den Moment. Es gäbe ja nicht einmal Zeugen für Deine Missetat. Aber dann sitzt Du hier völlig alleine in dieser Diaspora und das bringt Dich auch nicht wirklich weiter.“ „Das ist tatsächlich keine schöne Vorstellung.“ „Siehst Du. Komm her, setz Dich zu mir.“ „Was machst Du hier? Willst Du etwa hier in der Bushaltestelle übernachten? Mitten auf dem flachen Land?“ „Natürlich nicht! Ich werde noch abgeholt. Hoffentlich.“ „Hoffentlich? Oh, dann haben wir wohl ein ähnliches Schicksal?“ „Vielleicht. Nein, eigentlich nicht. Du weißt ja, dass Du nicht mehr mitgenommen wirst und bei mir gibt es noch einen Funken Hoffnung.“ „Du heißt nicht zufällig Anna?“ „Nein, nicht wie bei Dada und es regnet auch nicht. Zum Glück. Hiphopfan? Vielleicht. Aber Augen wie ne Nacht in Asien? Ohje.“ „Ich will ins Bett.“ „Das ist direkt.“ „So auch wieder nicht.“ „Schade.“ „Schade?“ „Das finde ich jetzt ziemlich direkt.“ „Darfst Du. Wo steht denn Dein Bett?“

„Dorfkrug.“ „Dorfkrug? Das sind so sieben oder acht Kilometer. Könnte man auch laufen.“ „Daran habe ich auch schon gedacht.“ „Ich nicht. Nicht mit diesen Schuhen.“ „Wer holt Dich denn ab?“ „Ich bin nicht sicher. Mein Noch-Freund …“ „Dein Noch-Freund?“ „Ja.“ „Weiß er das?“ „Was? Dass er mich abholen soll?“ „Auch.“ „Ich habe ihm vorhin eine Nachricht geschickt, dass er mich holen soll.“ „Und?“ „Die ging die ganze Zeit nicht raus. Scheissnetz hier auf dem Land. Und dann war irgendwann der Akku alle.“ „Magst Du ihn von meinem Handy anrufen?“ „Ich mag ihn eigentlich gar nicht mehr anrufen.“ „Warum lässt Du Dich dann von ihm abholen?“ „Weil es schon immer so war.“ „Das klingt ja sehr romantisch.“ „Das hat mit Romantik nichts zu tun. Es ist eben so.“ „Na schön. Und warum dann Noch-Freund?“ „Weil es sich so anfühlt.“ Motorgeräusch, Lichtkegel, Bremsen, mechanisches. Mechanisch trifft es gut. „Willst Du mitfahren?“ „Danke, ich glaube lieber nicht. Ich gehe besser alleine. Die Morgenluft wird mir gut tun. Gute Reise durch die Zeit.“ Sie schaut einen Moment zu lange. Fragend. Egal. Die Tür schlägt zu. Motorengeräusch. Rücklichter verschwinden zwischen den Alleebäumen. Nacht. Nüchtern. Alles bleibt anders.

Bruno SchulzComment