"vielleicht."

Ein „vielleicht“ ist kein schönes „nein“.

„Vielleicht ist nichts ganz wahr - und sogar das nicht …“ // Multatuli*

Das „vielleicht" [fiˈlaɪ̯çt] ist ein Adverb und lässt sich korrekt zwischen seinen beiden "l" trennen. „Vielleicht“ stammt aus dem Mittelhochdeutschen, also aus der Zeit von 1050 bis 1350. Das war die Sprache der höfischen Literatur bei den Staufern, für die man im 19. Jahrhundert im Nachhinein eine einheitliche Orthografie geschaffen hat, um sie zu normalisieren, zu vereinheitlichen, lesbar zu machen. Damals war das „vielleicht“ noch ein „vil līhte“. Heute ließe sich das am ehesten mit „sehr leicht, „vermutlich“ oder einem „möglicherweise“ übersetzen.

Die aktuelle Auflage des Duden beschreibt das „vielleicht“ als Relativierung von Aussagen. Es gibt an, dass etwas ungewiss ist, möglicherweise, unter Umständen. Beziehungsweise als Relativierung der folgenden Maß- und Mengenangaben: um die, ungefähr, etwa, zirka.

Als Synonyme werden ein „eventuell“ präsentiert, ein „womöglich“ und ein „möglicherweise“ und in den Maßen ein „schätzungsweise“, ein „ungefähr“ oder ein „zirka“. Die lokalen, bildungssprachlichen oder veralteten Angebote erspare ich uns an dieser Stelle.

Umgangssprachlich höhergewichtet es die nachfolgende Aussage und steht für „besonders“ oder etwa ein „unerwartet stark“.

Kommen wir zu den Reimen. Wie könnte mans machen? Auf Endung? Vielleicht … -aɪ̯çt. Schauen wir doch mal in die Reimlexika, in Steputat und Co. Was finden wir bei den Einsilbern? Bleicht ,eicht, laicht, leicht, reicht, schleicht, seicht, streicht, weicht. Zweisilbig könnten es sein: erreicht, erweicht, gereicht. Und mit drei Silben auf die Schnelle: federleicht, kinderleicht, pflegeleicht, unerreicht … und da geht noch eine ganze Menge mehr.

Wollen wir es doch gleich mal mit einem Limerick versuchen.

Eine Schönheit, Französin vielleicht …

sie anzusprechen war gar nicht so leicht.

Meine Vokabeln vergessen,

das Gestott’re vermessen,

meine Liebe zu gesteh’n hats gereicht.

Ich liebe es, mich den Worten über Reime anzunähern. Und nicht nur den Worten.

Das wars? Nicht ganz. Denn da gibt es noch etwas, was kein Wörterbuch zu erklären vermag. Das „vielleicht“ als Raumdefinition. Das Mittel zur Beschreibung des unbeschreiblichen. Eines mäandernden Volumens zwischen ja und nein. Oft mit Tendenz, aber selten greifbar. Keine Skala. Immer subjektiv und unbewertbar, oft unfassbar. Ein Fetzen Stoff Hoffnung. Immer nur ein bisschen. Nur für die Fingerspitzen. Das Seil auf Spannung halten. Nur soviel, dass der Tänzer nicht abstürzt. Ohne Netz und doppelten Boden. Stark genug, die Zeit zu krümmen, aber auch sie zu dehnen. Seelenanästhesie, Traumverstärker für die trostlosen Momente. Aber auch ein schlimmes Rauschmittel mit hinreichend Suchpotenzial, den Süchtigen auf Spur zu halten. Wie bei der Droge ist es die Dosierung, die entscheidet. Gift oder Medizin. Mit einem zwischenmenschlichen „vielleicht“ übernimmt man eine schwere Verantwortung. Kein Spiel. Les jeux sont faits.

Es schmeckt nach Enttäuschung, wenn die Träume verderben …

Vielleicht.

* Multatuli ist Lateinisch und bedeutet: ich habe viel getragen. Es ist das Pseudonym von Eduard Douwes Dekker, einem niederländischen Kolonialbeamten und Schriftsteller, der von 1820 bis 1887 lebte.

Bruno SchulzComment