ey!

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„ey!“

Ich wusste nicht, dass es „catcalling“ heisst. Nur wenig Fantasie allerdings verlangt die Annahme, dass kaum jede Frau bereit sein kann, regelmäßig auf das Pfeifen und andere feinsinnigen Balzrituale behelmter Baustellenauerhähne (Achtung: stellvertretendes Stereotyp!) oder das exotische Zischen orientalischer Prinzen umgehend ihre willfährige Paarungsbereitschaft in Aussicht zu stellen. Himmel, muss das anstrengend sein. Despektierlich und ehrverletzend.

Was mir allerdings schwerfällt, ist die individuelle Bemaßung solcher Aufdringlichkeiten und eine allgemeingültige Herleitung daraus als Fundament einer juristischen Beurteilung. Ab wann ist Ansprache aufdringlich und übergriffig und an welcher Stelle könnte die oft gerechtfertigte Anzeige eines Fehlverhaltens zu schlichter Denunziation geraten. Vermutlich wird es Grenzbereiche und auch Missverständnisse geben, vielleicht sogar aus sprachlichen oder kulturellen Dissonanzen.

Den unsäglichen Übergriffen endlich entgegenzuwirken, halte ich für eine ausgezeichnete Idee, bin sehr gespannt auf die Umsetzung und freue mich, wenn es die Richtigen trifft und die zu unrecht Beschuldigten zu schonen vermag.

Was ich mich allerding frage ist, ob es tatsächlich in unseren Tagen immer des Anglizismus bedarf, sich gesellschaftlicher Themen anzunehmen. Bielefeld ist nicht Brooklyn, Mannheim nicht Manhattan.

Brauchen wir unbedingt diese Brandings und die daraus erwachsenden Kampagnen mit Hashtags, Social-Media-Galerien voller emotionaler, instagramgefilterter Motive und allem pipapo, was einer tourenden, teenagerumschwärmten Band zu aller Ehre gereichte, um an die Selbstverständlichkeit glauben zu können? Muss man die Sache selbst tatsächlich immer zum inszenierten Happening gestalten mit abzuleitendem Merchandising und dem ultimativen Soundtrack zum Erlebnis? Ist die Menschheit tatsächlich so verroht und abgestumpft? Braucht sie solche Mätzchen und Leitsysteme für den sozialen Analphabetismus?

Die moralische Orientierungslosigkeit ist beschämend, das Maß an Empathiearmut wie Manierenfreiheit bodenlos. Schlimm, dass es scheinbar solch greller Leitplanken in modischer Farbcodierung bedarf, die Untiefen auf dem Weg zum gedeihlicheren Miteinander nur vermeintlich sicherer zu umfahren.

#cutthetriggerfinger

hier geht es zum auslösenden Artikel:

https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/catcalling-petition-fordert-verbale-sexuelle-belaestigung-unter-strafe-zu-stellen-a-862bebe2-b22f-4a3b-9996-8c335dd23a76?fbclid=IwAR0pigUSKBB1KGzqvdpigUM_9XsZjQxo5SCVrm-3Scf6jQwBSvIXt5ROl_w

Bruno SchulzComment