in vino veritas?

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Das ist ein lateinischer Satz, der tatsächlich auf Erasmus von Rotterdam zurückgeht, einen bedeutenden Geistlichen und Gelehrten des Renaissnce-Humanismus. Auf deutsch bedeutet das: „Im Wein liegt die Wahrheit“, dessen verkürztes Original sich als eine Weisheit bereits dem Dichter Alkaios von Lesbos zuordnen lässt.

Der römische Historiker Tacitus dokumentierte seinerzeit aufmerksam, dass die Germanen zu ihren Ratssitzungen gerne Wein tranken, weil sie überzeugt davon waren, niemand könne glaubwürdig lügen, wenn er nur hinreichend betrunken sei. Und noch heute kennen wir die gemeine Volksweisheit: „Kinder und Betrunkene lügen nie“.

„In vino veritas“ bezieht sich demnach auf den Trinkenden. Denn mit dem Wein ist das so eine Sache.

Wein ist kein Lebensmittel! Aber was ist er dann? Nun, das EU-Gesetz bezeichnet ihn lieber als Genussmittel. Und das aus gutem Grund. Denn so darf der Rebensaft ohne die Kennzeichnung von technischen Hilfsmitteln oder Zusatzstoffen auskommen. Was das bedeutet? Na, dass der flüssige Quell der Freude nicht immer das ist, womit sein chemieunkundiger Freund rechnet, wenn er das Objekt seiner Begierde naiv auf die schlichte Formel „Traube plus Alkohol“ verdichten mag.

Was viele noch mitnehmen, ist der fast immer geflaggte Schwefel. Der ist kennzeichnungspflichtig ab zehn Milligramm, konserviert und schützt vor Oxidation. Geringere Bekanntheit erfahren da schon die tierischen Produkte jenseits der anekdotisch kolportierten Reblaus, wie Hühnereiweiß, Fisch oder Milchprodukte oder alternativ Erbs- und Sojaproteine, die ohnehin erst ab 25 Milligramm per Liter dokumentiert werden wollen, wenn sie überhaupt nachweisbar sind. Es bedarf kaum investigativer Begabung zu ermitteln, warum die Grenze tatsächlich bei 25 Milligramm liegt. Die veganen Zeitgenossen sind gut beraten, auf ihr explizites Freigabezeichen zu achten.

Dazu kommen zum Beispiel der gute Rübenzucker für mehr Volt, Aroma-Reinzuchthefen zur Profilschärfung für das infantile Standbild im Kopfkino der vermeintlich Sachkundigen und etwa fünfzig weitere zugelassene Hilfsmittelchen wie möglicherweise auch industriell hergestellte Zitronensäure unter Verwendung von genetisch veränderten Organismen, mit denen Petrosilius Zwackelmann aus Pech Gold zu zaubern vermag, wie der Kellermagier aus der schlimmsten Traubenplörre ein Zeug, das er im Discount als Wein vermarkten darf.

Und nichts von alledem findet sich auf der Ausstattung wieder. Vieles wäre ohnehin nicht mehr nachweisbar, weil es mit weiteren zugelassenen Hilfsmitteln schon längst wieder entfernt wurde. Darum muss der kritische Verbraucher im Ausschlussverfahren arbeiten, wenn er mögliche Allergene und auch ein paar ordentliche Sauereien sicher ausschließen will, indem er über deklarierte Zertifizierungen ausgrenzt: Bio, Bioland, Ecovin, Ecocert, oder eben Demeter, die noch die engmaschigsten Vorschriften verteten.

Auch gut ist der Bezug über einen persönlichen Winzer des Vertrauens, bei dem man probieren und mit gutem Gewissen genießen darf, weil der einem erklärt, was er wann wie und wo gemacht hat und warum. Hoffentlich. Ok, ich glaube lieber weiter an das Restgute im Menschen.

Eigentlich braucht ein ordentlicher Wein nicht viel mehr als gesunde Trauben, die richtige Temperatur und natürlich Zeit. Ein Großteil der Mittelchen und Verfahren gibt es nur, um Fehler und Nachlässigkeiten auszugleichen, um schneller und unter anderem dadurch vermeintlich effizienter zu werden.

Aber schneller ist eben kaum immer besser. Das weiß ein nicht unerheblicher Teil unserer Bevölkerung schon lange zu beklagen.

Vielleicht denkt man beim nächsten Glas Wein mal darüber nach.

Oder billiger? Wein droht zum trinkbaren Tönnies-Schweinenackensteak zu verkommen. Gerade einmal Zweieurovierundachtzig sind Brigitte und Frank Mustermann heute noch durchschnittlich bereit, für einen Liter Wein auszugeben. Das wären Zweieurodreizehn für die übliche Verbrauchseinheit. „Sensorisch verkehrsfähig“ nennen übrigens die Dealer ihren Stoff, der dafür noch abgefüllt werden kann. Ich nenne ihn „Pferdepisse“.

Ein befreundeter Winzer sprach mal von einer erwartbaren „Lebenstrinkleistung“, eine originelle Vokabel wie ich finde. Da ich inzwischen vierundfünfzig Lenze zähle, habe ich keine Zeit zu verplempern und zum Glück meinen Weg gefunden.

Prost.

Bruno SchulzComment