von Kompression.

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... mein liebes Tagebuch:

„von Kompression“

Kennt Ihr das Gefühl zu erwachen, die Augen zu öffnen und sofort wieder schließen zu wollen, weil ihr nicht bereit seid, diese Realität zu akzeptieren?

Aber von vorn: als ich kürzlichst mein zugegebenermaßen etwas groß geratenes KFZ in die Katakomben der Tiefgarage eines familiengeführten Hotels auf St. Pauli einfädeln sollte, habe ich noch überheblich gegrinst, brachte ich ja bereits jahrelange Übung in dieser Disziplin mit und diese anachronistische wie toxisch maskuline Mischung aus Renitenz und Gewissheit, es den ewigen Zeterern und chronischen „das-hast-Du-eben-davon“-Nörglern zeigen zu wollen und zu können, das Tau ins Öhr zu treiben.

Da es in meinem folgenden, authentischen Erlebnisbericht aber nicht um Autos und ihre ökologische Bilanz gehen wird, erspare ich uns das errechenbare Sinnhaftigkeitsverhältnis von Bewahrung und Austausch von überdimensionalen Individualfortbewegungsmitteln, denn die einleitende Epidode sollte ganz unabhängig zur Mobilitätsthematik lediglich zu einer erheblich zukunftssichtigen Analogie geraten.

Mein Geschäftspartner Markus Tebbe und meine Wenigkeit hatten zu Beginn der Coronazeiten die Hamburger Gastronomiemesse „Internorga“ besuchen wollen. Die fiel aus in diesem Jahr und ebenso der Sinn unserer damaligen Hotelbuchung. Der Herbergsvater meinte, ob der besonderen Situation, unsere Ansprüche verfallen lassen zu wollen. Ein guter Grund für den guten Markus in ausdauernde Diskussionen einzusteigen, denn auch wir waren und sind ja mit unserem kleinen Unternehmen leidlich betroffen und mit ein bisschen Integrität und Verbindlichkeit lassen sich Krisen zumindest aus meiner bescheidenen Sicht gemeinsam doch erheblich leichter bewältigen. Das sollte man zumindest annehmen. Schließlich stimmte unser Gastgeber einem abzuwohnenden Guthaben zu, konnte es dabei aber wohl nicht lassen, seine eigentliche Einstellung gegenüber uns ehemaligen Stammgästen zum Ausdruck zu bringen und uns eine wenig serviceorientierte Lektion zu erteilen.

Wie man schon an der einleitenden automobilen Anekdote leicht ablesen kann, bin ich auf Reisen bereits aus dem eigenen Format heraus ein bekennender Aficionado großzügiger Raumverhältnisse. Ich mag es, mich an das Volant zu begeben, während sich unmittelbar das Gefühl breitmacht, in einer jener klassischen, edelfunktionalen britischen Clubturnhallen zu sitzen. Ein spottzerfressener Freund unterstellte mir einmal, dass ich mein Auto nur deshalb nicht in weiss gewählt hätte, weil es dann zu sehr an die Gewaltigkeit eines Kreuzfahrtschiffes gemahnte. Dabei finde ich diesen Vergleich durchaus charmant, unterstreicht er doch ebenso meine Vorliebe, mit oppulentem Gepäck auf große Fahrt zu gehen. Mein Raumschiff hat mich dazu erzogen, nicht mehr planen zu müssen, was ich mitnehmen kann, sondern was ich zuhause zu lassen gewillt wäre.

All das will dann auch in einem Hotelzimmer Platz finden und schon sind wir mittendrin: für gewöhnlich buchen wir immer lieber eine Kategorie über unseren aktuellen Möglichkeiten. Das dient einerseits dem erheblich vorteilhafteren Raumgefühl, stabilisiert auf der anderen Seite aber auch unseren Ehrgeiz, wirtschaftlich wenigstens soweit am Ball zu bleiben, um den dauerhaften Klassenerhalt zu meistern.

Diesmal aber hatten wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Und dessen kleinlicher Freude daran, seinen Gästen zwar die Zusage zur Kompensation zu erfüllen, das aber auf allerkleinster Flamme. Und so wurden im vermeintlich selbstlos großzügigen Ersatzangebot aus den ja tatsächlich bereits bezahlten kleinen Suiten zwei Einzelzimmer für den unglücklichen Vertreternachwuchs in der Kubatur eines mittleren Bürountertischcontainers.

Es ist kein schönes Gefühl, einen Raum zu betreten in der Gewissheit, dass sich das Zuhause der nächsten Tage ganz sicher anfühlen wird, wie ein Distanzmarsch in zu engen Schuhen. Zwei Meter Mensch und zweihundert mal neunzig Zentimeter Bett passen nur bedingt zusammen. Als sitze man ein für ein Kapitalverbrechen, das man nicht begangen haben kann.

Wenn man die Toilettentür während des Geschäfts geöffnet halten muss, wegen der möglichen Auswirkung des sich verändernden Luftdrucks auf die Gebäudestatik.

Der Blick ins Bad zementierte augenblicklich die Notwendigkeit, die kommenden zweiundsiebzig Stunden auf alle Nahrung zu verzichten, die über den Erhalt der lebenserhaltenden Körperfunktionen hinausginge. Ein Aufenthalt in der halbquadratmetrigen Duschkabine versprach das Körpergefühl eines vakuumierten Kotelettstrangs. Jede unnötige Kalorie würde den Zutritt deutlich erschweren, wenn nicht gleich gänzlich verunmöglichen und ein Duschen außerhalb der „Wurst-in-Pelle“-Kabine würde vermutlich kaum zur Begeisterung des Betreibers beitragen.

Zum Glück erleichterten uns die außerordentlichen Witterungsbedingungen und unsere immerwährende Neugierde den ganztägigen Aufenthalt an der frische Luft jenseits der knappen Internierungszelle, die wohl den Tierschutz auf den Plan gerufen hätte, sobald man uns als Kettenhunde in Zwingerhaft deklarierte. Die professionelle Selbstsedierung in önologischer Praxis sorgte für Linderung und Trost bei der Nacht.

Im Rückblick erfassen wir, dass wir wohl mit allem Engagement nicht mehr wirklich wohlhabend werden können, aber doch wenigstens genug Ertrag erwirtschaften sollten, auch im Alter in Umsatzknechtschaft weiterhin halbwegs komfortabel zu logieren in der sich verdichtenden Überzeugung, weit über die eigenen Verhältnisse zu leben, aber noch lange nicht standesgemäß.

Euch allen einen schönen Sonntag.

Bruno SchulzComment