Der schwarze Fleck.

Übergriffig? Distanzlos? Impertinent! Das trifft es am besten. Das stammt aus dem Lateinischen: ‚impertinens‘, also ‚nicht zur Sache gehörend‘. Heute umschreibt man damit gerne subjektiv unangenehme Zudringlichkeiten: ‚ungehörig, frech, unverschämt. Aktive Handlung oder grundsätzliche Haltung - ganz egal. Aber eigentlich sind Impertinenzien Nebensächlichkeiten, die einfach nicht ins Thema passen: ‚unangemessen oder unpassend‘.

Beispiel gefällig? Da postet man im Überschwang der Emotionen eine zweizeilige Ode an die frühherbstliche Nordsee und ihre Gezeiten und erntet im öffentlichen Kommentarstrang und nicht etwa als diskrete PN für das begleitende Foto mit den Füßen in der Brandung und einem pixelgroßen Fleck auf dem Schienbein bei diffusen Lichtverhältnissen, ungefragt von einer Unbekannten, eine wenig romantische Laienferndiagnose zu einem vermutlich metastasierenden malignen Melanom mit wahrscheinlich unvermeidlich bevorstehender Unterschenkelamputation weit im Gesunden. Dazu gehört schon ein gewaltiger, pathologischer Dachschaden. Details erspare ich mir in Ermangelung fachärztlicher Tiefenkenntnisse.

Aber, als wenn das nicht hinreichte, muss man sich für das diesbezügliche, distanzmahnende Statement im eigenen Profil auch noch anmaulen und beschimpfen lassen, man ignoriere stumpf jede soziale Komponente, die doch offensichtliche Fürsorge, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Die Liebe zwischen den Menschen. Bescheuerter geht es wohl gerade nicht? Vollends entgleist der Zug in der Feststellung, dass es genau daran läge, dass Männer eben nicht so alt würden. Ich glaube, das ist ein Trugschluss. Manche Menschen wollen einfach nicht so alt werden, weil sie diesen Schwachsinn nicht länger ertragen können.

Wobei wir wieder bei den Impertinenzien anlangten. Manche Leute wissen einfach nicht, was sich gehört. Und manche eben nicht, was dazugehört. Ich habe jedenfalls nicht vor, mein konsequentes Vorsorgeverhalten vor einem Social-Media-Kaffeekränzchen dezidiert auszubreiten, wie Tante Erna ihre Steißbeinfistel und Opa seine Kriegsverletzungen: er hat ein Bein aus Stalingrad mitgebracht. Wir wissen bis heute nicht, wem es gehört. Oder so ähnlich.

Und natürlich gibt es zu allem den urbanen Mythos, nach dem eine chinesische Schlangentänzerin vom Zirkus Knie einst während ihrer spektakulären Darbietungen zur dritten Vorstellung an einem regnerischen Novemberdonnerstagvorabend in der schummrigen Manege aus ihrer ungewöhnlichen Perspektive beim anwesenden Provinzraiffeisenprokuristen knapp über dem Gummizug der in der Aufregung heruntergerutschten rechten Tennissocke einen dermatologischen Tumor im Frühstadium identifizierte und ihm damit vermutlich das Leben rettete, darob sie bis auf den heutigen Tag Komponente einer niederrheinischen Marienprozession werden durfte.

Jaja, ich weiß: „dann eben nicht.“ Genau das. Danke.

Bruno SchulzComment