„… du bist ja nur neidisch.“

Per allgemeiner Definition beschreibt der Neid die Empfindungen von Menschen, die sich nach den subjektiv vermeintlichen Vorteilen anderer sehnen, wie Besitz, Aussehen, Erfolg, Freundschaften, Fähigkeiten, Sonderrechte und anderer Privilegien, oder denen diese bei eigener Unerreichbarkeit schlicht missgönnen. Der Neid kann als Treibstoff, im Gegensatz zur Missgunst - seinem Superlativ, durchaus positive gesellschaftliche Auswirkungen haben, weil er mitunter eben auch für Entwicklung sorgt.

Neid als Unterstellung aber ist eine rhetorische Killerphrase. Denn das „argumentum ad invidiam“ sagt in der Regel erheblich mehr über den Scheinargumentierenden aus, als über den Gerüffelten. Das Verhältnis erklärt sich besonders dann schmerzhaft augenfällig, wenn der Gescholtene überhaupt keinen persönlich inhaltlichen Bezug zur Materie hat, der Attestierende aber wie zum Stammtischbeleg seine vorgebliche Sachkenntnistiefe nachschiebt und darin seine eigenen Wertekoordinaten offenbart.

Wenn also zum Beispiel ein führerscheinloser und am Individualverkehr desinteressierter Klimabesorgter verständlicherweise die Sinnhaftigkeit von Supersportwagen hinterfragt und dafür bizarrerweise des Sozialneids bezichtigt wird von einem Petrolhead aus dem zweiten Teil der Fresskette, der ungefragt alle relevanten bis absurden Daten auszustottern bereit ist, ohne die tatsächlichen Objekte seiner Begierde jemals selbst zu erreichen, um damit seinen eigenen, möglicherweise schlichten Wertekompass auszuspielen, was nicht mehr ist, als die banale Erschleichung einer pseudonormativen Position in apodiktischem Vortrag. Ein Vortrag im Modus einer empirischen Behauptung, ohne jedes Angebot zu seiner empirischen Entkräftung, da das Bild in der Vorstellungsverkürzung des Vorwerfenden ja bereits ausgehärtet ist. Er kann sich noch so krümmen, sein Fetisch ist ja völlig legitim, nur muss er ihn nicht unbedingt zum Standard verklären. „Weltmacht mit drei Buchstaben?“ „Ich?“ „Lächerlich!“

Heute bin ich in meinem Newsstream mit verschiedenen Berichten zur Lindnerhochzeit belästigt worden. Hängengeblieben bin ich an einem Statement der EMMA, das zugegeben ein bisschen populistisch ausgeführt war, aber das Ganze in der Sache traf. Alles in allem eine unglaublich spießbürgerliche Phantasie vom guten Leben, was per se natürlich jeder halten kann und soll wie er möchte. Gestattet sei allerdings die Frage, inwieweit die Veranstaltung gesellschaftsrelevant sein kann, auf dass ein solcher Aufwand auf Steuerzahlerkosten betrieben werden muss. Das ganze Schauspiel von der gekauften Kapelle von Keitum, über die dramaturgische Bedeutsamkeit der KFZ-Ausstattung bis zum Selbstflieger März nebst Gattin mit Wehrmachtshelm. Egal, ob Düse oder „sparsame Propellermaschine, die ja „nicht mal“ ’ne Million kostet. Alles in allem ein Bündel an Symbolik, das man durchaus auch mal kritisch sehen darf in Zeiten, in denen Frank und Brigitte Mustermann mantraartig darauf eingesungen werden, die Gürtel sehr bald erheblich enger schnallen zu müssen.

An dieser Stelle entfleucht dem neoliberalen Michel sein reflexhafter Neidvorwurf, der mir maximal ein abstrahiertes Ferrerozitat abpresst: „Feiern mit Lindner? Auf Sylt? Fliegen (mit oder ohne Merz)? Das sind ja gleich drei unliebsame Überraschungen auf einmal. Nein, mein Leben ist gut und reich und weit wie es ist. Seit sechsunfünfzig Jahren. Natürlich hätte man dem einen oder anderen Ar5chloch nicht begegnen müssen, klar. Die eine oder andere Erfahrung gerne stecken lassen. Aber was bedeutet das schon auf die ganze Strecke? Eben.

So sehr man sich auch immer wieder über den niedlichen Vortrag des Neidargumentes ärgern mag, das Mittel der rhetorisch Unbewaffneten, so dokumentiert es eben auch den Mangel an echten, belastbaren Argumenten und dechiffriert das Plädoyer als sinnfreie Stammtischrechtmeierei. Eine Art Selbstentzauberung. Man kann an diesem Punkt jede Debatte guten Gewissens abbrechen, weil sie eben keine ist. Auch gut, oder?

Allen einen schönen Restsonntag.

Nachtrag: Wer meinen Text halbwegs aufmerksam lesen mag (gelesen hat) und sich nicht gleich vom Motiv verhaften ließ (ein weiteres Thema) erkennt schnell, dass es eigentlich gar nicht um Lindner und seine Braut geht, aber um das Abwürgen von Debatten durch Killerphrasen wie das Neidargument, das Argument der Argumentlosigkeit, weil manche dank ihrer Lochfraßagenda keinen Perspektivwechsel mehr wagen (wollen/können). Das bedeutet ja nicht, dass sie nicht zu ihrer Ausgangsposition zurückkehren sollen, aber Diskussionen mit Scheinargumenten per basta und Diskreditierungen abzukürzen bleibt ein seltsames und egozentrisches Missverständnis von Dialogkultur.

Bruno SchulzComment