ESC

ESC steht für „escape“

Ohne mir diesen Mist seit Jahren auch nur einmal vollständig angetan zu haben, entwickle ich inzwischen eine Art Mitleid für meine Landsleute in ihrem neurotischen Kater der nur vermeintlichen und darum erwartbaren Demütigungen. Es ist der absichtliche Lauf ins Messer. Hysterisches Watschengebettel. Woran lag es diesmal? Vermutlich wie immer: es ist die Lederhose. Die Lederhose im Kopf.

Man wird nicht geliebt, weil man geliebt werden will. Man kann sich wahre Liebe auch nicht kaufen. Und nein, liebe Unterhaltungsingenieure, man kann sie auch nicht konstruieren, nicht mit allem Geld der Welt, selbst wenn man glaubt, wirklich alle Punkte der Tontafeln mit den zehn Geboten Wokistans abgearbeitet zu haben: jeder deutsche ESC-Beitrag wirkt wie das verkrampfte alchemistische Experiment, einem wehrlosen Delinquenten aus den eigenen Reihen ein Stück Kohle in den Hintern zu stecken, um daraus einen Diamanten zu pressen. Allenfalls getoppt nur von dieser unergründbar herbeihalluzinierten Deutungshoheit der multimedialen Dunning-Kruger-Patienten. Da verfügt man stets, bar jeder sachlichen Expertise, über ein erstaunliches Maß an schwafeliger Analysekompetenz, gepaart mit einem ähnlich begründbaren Sendungsbewusstsein.

Nach der Niederlage ist vor der Niederlage? Nein, so schlimm ist es nicht, denn die Veranstaltung kennt doch nicht einmal einen zweiten Platz. Und wenn doch, wäre der letzte Rang schließlich doch eine Art Auszeichnung: Du warst auch diesmal nicht einmal ausreichend schei3e!

Und selbst der Erste ist morgen schon vorgestern. Die ästhetische Apokalypse wirkt nur im Augenblick des Geschehens. Der wiederholte Vortrag des Siegtitels ist schon sein Abgesang. Es gibt keinen Triumph der Hoffnung über die Erfahrung.

Der ESC und sein Kosmos sind eine Olympiade der Beeinträchtigten. Auf dem Platz wie auf den Rängen und auch bei den Kommentatoren, wie es Barbara Schöneberger einmal mehr schalwitzelnd als Karnevalsbordsteinkamelle zu belegen verstand. Eine Freakshow. Ein Panoptikum. Schrill und grausam. Schönschrecklich wie ein Unfall, den hunderte Millionen Gaffer zwanghaft beglotzen. Eine Revue von Versagern für Versager. Wer darin sein nationales Ehrgefühl verletzt findet dokumentiert hinreichend, wie ein ebensolches selbst einzuordnen ist. Und wer dem widerspricht, kennt sicher alle Details zu den deutschen Beiträgen der vergangen zehn Jahre ob ihres Gewichts im Kanon unseres kulturellen Erbes.

Guten Morgen.

Bruno SchulzComment