Vom Lesen und erlesen.

Mein Facebookfreund Gerald Angerer gab kürzlich die Empfehlung aus, endlich Peter Stamm zu lesen. Er hat es natürlich ganz anders verpackt und eine kleine Miniatur daraus gelaubsägt, an deren Ende er sich als zu träge selbst geisselte, eigene Prosa in Buchform zu veröffentlichen. „Ich kaufe eins. Vielleicht“, versuchte ich ihn kommentierend aufzumuntern. Aber da war es vereits zu spät.

Da ich solche Posts gerne auf mich selbst beziehe, habe ich also nachgelegt. Ich kannte Stamm bislang nur vom gelassenen Überblättern. Nun wollte ich hineinlesen. In die Empfehlung: „Blitzeis“. Das sind neun knappe Geschichten, die einst sogar Reich-Ranicki frohlocken ließen von diesem „ganz schönen und wichtigen Buch“. Also los.

Doch mit meiner Literaturpathologie, mache ich mir das Lesen nicht immer leicht. Oft steige ich über die Biographie des Autoren zu und natürlich suche ich dann sezierend Bezüge. Das macht den Zugang selten unbeschwert und ich gelobe regelmäßig, es das nächste Mal besser zu machen. Meine Neugier bringt mich um.

Über Stamm finde ich auf die Schnelle: „Kennzeichnend ist seine distanzierte Erzählweise und sein einfacher Stil, der aus kurzen Hauptsätzen besteht und beinahe vollständig ohne schmückende Adjektive, Metaphern oder Vergleiche auskommt.“

Das klingt interessant und wie eine persönliche Anklage an mich zugleich. Ist das die Fährte, die der Angerer legen wollte? Ein Rezeptieren textender Katharsis? Runter auf den Fünfwortsatz? Auf jeden Fall ist meine Interpretation egozentrisch überdreht.

Stamms 'Blitzeisgeschichten' lesen sich leicht, flott, fast beiläufig. Bei einem ordentlichen Wein späche man von gutem Trinkfluss. Aber sie bieten eben auch wenig Reibung. Stamm selbst meint: „Je mehr die Sprache in den Hintergrund tritt, umso realer werden die gezeichneten Bilder.“ Es sind karge Bilder. Ästhetisch, reduziert wie skandinavisches Design der fünfziger Jahre. Und darum müffeln die Texte auch schon ein bisschen überholt, auch wenn sie erst zur Jahrtausendwende entstanden sind. Gerne lese ich sie doch. Sie sind wie gute amerikanische Kriminalgeschichten aus den frühen Dreissigern, noch weiter entrümpelt als Hammett oder Chandler, nur ohne Mord und Totschlag. Zumindest fast.

Was nehme ich mit von Stamm? Der Mann hat eine klare Handschrift. Klirrend nüchtern. Ich stelle mir seine Leser vor, wie sie in einem dieser einstigen Volvoschuhkartons nachhause fahren, um dort auf einem unbequemen Sitzmöbel etwas anstrengend Intellektuelles von David Byrne auf ihrer NAD-Stereoanlage zu hören.

Was hat das mit mir zu tun? Eine gute Frage. Ich mag das und ich respektiere das, bin aber selbst ganz anders, trinke von Zeit zu Zeit zwar gerne auch mal ein großes Gewächs und beschäftige mich sonst lieber mit den jungen Wilden. Was gar nichts zu tun hat mit der Zahl der Lebensjahre aber mit dem brennenden Herzen.

Guten Morgen.

PS: Und der Wondratschek? Wondratschek habe ich fast immer dabei. Sicherheitshalber.

… der Gerald kommentierte übrigens:
”hehe, ich wußt es, der bruno liegt nicht weit vom stamm .. die weinanalogie ist großartig u deine texte sind nicht nur im abgang vollmundig, reichziselierte elaborate, immer bezugnehmend, an wieworten kaum zu überbieten.. ich les dich ganz gern, bruno. meistens.” Immerhin :)

Bruno SchulzComment