Freibadfantasien

Freibadfantasien

„Ich bin nicht mehr für jeden Tag“. So sagt man hier, in meinem heimatlichen Idiom, wenn man den eigenen Zenit bereits überschritten hat, der Kiste näher steht als der Wiege und das nicht nur in arithmetischer Durchsicht. Wenn ich dem Schicksal meines Geschlechts folgend, frühmorgens harngedrungen zur Keramik eile, kann ich im Nachgang nicht immer unmittelbar wieder selig einschlummern. So wurde das Smartphone quasi allein für mich erfunden. Darin stromere ich durch die Kanäle, lese, kommentiere, schreibe, staune.

Heute stoße ich in der digitalen ZEIT auf eine Kolumne des Autoren und Journalisten Nils Frenzel: „Im Freibad sind alle gleich“. Der ist Jahrgang '81. Das Jahr, in dem ich meinen sechzehnten Geburtstag feierte und meine ersten, im Erwachsenenmaßstab nennenswerten Intimerlebnisse.

Warum ich das jetzt hier ausbreite? Na, weil sich sein fieberhalluziniertes Schwimmbadfeeling aus dem Artikel damals schon angefühlt hätte wie der kalte Bluna-Sincocola-Kaffee aus der guten alten Peter-Alexander-Zeit, wie Ferien auf dem Immenhof, obwohl der Autor da noch als Quark im Schaufenster stand und wir auf die Veröffentlichung seines Schulaufsatzes über „seinen schönsten Ferientag“ noch zweiundvierzig Jahre hindauern sollten.

Tja, wären da nicht die zeiteneinordnenden Productplacements wie die AppleWatch als Eichenlaub-Insignie der „Kraft-durch-Freude-Nazi-Bahnenschwimmer“ unserer Tage oder die JBL-Bluetooth-Box als Megaphon der ehrlichen, aufbegehrend Elenden, die die Harmonie in Kodak-Color in das Hier und Heute beamten.

Was ist dieser Frenzel für ein Typ? Neben dem Schaffen von Werken wie einer Sammlung seiner Texte für 'Poetry Slams' unter dem Titel „Warum ich lieber mit einem Bauarbeiter in der Badewanne liegen würde als mit einer Jura-Studentin“, der nach einem arg konstruierten Cocktail aus flammender Sozialromantik und schmuddeligen Ralf-König-Fantasien riecht, beschäftigt er sich gemäß seiner netzverfügbaren Kurzbiographie mit wichtigen Trendthemen wie 'Alltagsrassismus' und 'Diskriminierung'. Das ist gut so, womöglich aber auch eine Spur zu den Brennstäben seines Narrativs.

Aber da ist eben auch noch die Bestandsaufnahme der dystopischen Biographie des Berliner Hells-Angels-Aussteigers und Kronzeugen Kassra Zargaran, ein schlimmer Finger: „Der Perser“, deren Aufbereitung vermutlich eine ergänzende Leitplanke und Orientierungshilfe hätte sein können auf Frenzels Barfußweg über Gottes bunte Freibadblumenwiese.

„Ist es das wert, so viele Worte über die gefühlig banalen, auch sprachlich arg schlichten Tagebuchzeilen aus dem bügelfreien Telekolleg „Toleranz“ zu verlieren, Bruno?“ Diese Frage kommt im nachfolgenden Thread so sicher, wie das Amen in der Kirche. Und? Keine Ahnung. Mir geht es ja eher darum auszuloten, was die Redaktionen geritten hat, immer weiter in die Welten des wohligweichen Fantasygenres abzudriften. Zur Klärung und Besinnung,sollten wir unter den Medienschaffenden womöglich Dauerkarten für die Erlebnisbäder in den einschlägigen Quartieren unserer Metropolen verteilen und deren regelmäßige Nutzung beachten. Zur Anschauung, denn was dort klatscht, ist seltener der Beifall für die gelungen Auerbachsalti vom Zehnmeterbrett als gelungenes Integrationsprogramm. Hallo, merkt Ihr noch irgendwas?

Bruno SchulzComment