„Spucken, Schlucken, dies und das …“

„Spucken, Schlucken, dies und das …“

Wenigstens die ’Süddeutsche Zeitung’ ist zumindest bislang jeden Vorwurfs als sexistisches Schlüssellochblatt für notgierige, eklige, alte, weisse CIS-Heten eher unverdächtig. Und darin konnte man am 30. Oktober 2019 einen Artikel aus dem Ressort ’Kulinarik' des Autoren Hans Gasser lesen:

„Spucken und Schlucken“

(Teaser: „50 Winzer an einem Tag - das braucht Übung beim Verkosten und macht das Ausspucken fast unvermeidlich. Auch wenn sich Gäste und Winzer einig sind, dass die schmackhaften Weine diese Behandlung eigentlich nicht verdient haben.“)

Der Verfasser Hans Gasser ist 48 Jahre alt, Südtiroler und schreibt auf seinen ausgedehnten Touren durch die ganze Welt interessante Geschichten auf. Zum Beispiel für die Süddeutsche. Gasser interessiert sich für die Menschen, spricht fünf Sprachen fließend und ist mir seelenverwandt gerne mit seinem VW Bulli unterwegs, kreuz und quer durch ganz Europa. Mit seiner Familie. Er ist kein Larry Flint und auch kein Hugh Hefner. Ihr könnt das in diesem Internetz leicht überprüfen.

Soweit so gut. Wie ich darauf komme? Nun ich habe das und Ähnliches gegoogelt, um mich zu versichern. Ich wollte überprüfen, ob ich mich nicht tatsächlich vergriffen haben könnte. Und? Hatte ich nicht! Mit zunehmendem Wissen erkennt man, dass man nichts weiß. Aber kommen wir zu dem ’warum’:

Vor wenigen Tagen erlebte ich das zweifelhafte Vergnügen „rhetorischen Tortens“. Was das ist, habe ich in den letzten Tagen schon dezidiert zerlegt: Aussagen bewusst fehldeuten, skandalisieren und instrumentieren für eine Diffamierungskampgane zur moralischen Selbsterhöhung.

„Das hätte ich nicht von dir gedacht!“

Meiner aufgekratzte Kontrahentin mochte ich vorerst keine offenkundigen intellektuellen Schwächen oder gar hirnorganische Diagnosen unterstellen. Schließlich ist diese vielmehr sogar geschult, erfahren und regelmäßig geübt in Sachen strategischer Kommunikation, sie lässt sich an vielen Stellen als Profi referenzieren. Ich darf demnach von taktischem Fehlverstehen ausgehen und von rechthaberischer Fehlinterpretation.

Was ist passiert?

Mein Laden hat und hatte ein bedrucktes Merch-Shirt im Programm. Von Weinmenschen für Weinmenschen. Darauf abgebildet waren eine Flasche Rotwein, ein Glas mit Rotwein und der unter Önologinnen und Önologen durchaus geläufige Spruch: „Schlucken statt Spucken“.

In’s Töpfchen, nicht in’s Kröpfchen: gemeint ist, einen wirklich guten Tropfen lieber auszutrinken und nicht nach kurzem gustatorischen ’Befühlen’ der Oberfläche gleich wieder dranzugeben

Umrissen ist damit die Situation, dass auf ausladenden Weinverkostungen die Einzelproben üblicherweise „gespuckt“ werden, um die Strecke als Proband rauschfrei zu überstehen. Zu diesem Zweck befinden sich im Raum für gewöhnlich Spuckgefäße in denen man sich des Flüssigmusters entledigen kann. Wenn dann allerdings ganz besondere Weine zum Testat anstehen, spricht man gerne mal vom „Schlucken statt Spucken“. Verkürzend und wahrscheinlich auch, weil es sich reimt.

Ich selbst erlebte das zuletzt anlässlich einer Spätburgundervertikalverkostung in Südtirol im Weingut J. Hofstätter zu Tramin in Südtirol. Nach mehreren fantastischen Zehner-Jahrgängen, zog der Hausherr eine 2005er 'Vigna Roccolo‘ auf. Alle anwesenden Pinot-Afficionados waren sich einig: „Schlucken statt Spucken!“ Dieser Edelstoff wollte einfach unbedingt ausgetrunken werden, auch wenn sich die Abreise durch eine zwingende, kurze Rekonvaleszenzphase verzögern sollte.

Und genau so war das gepostete Shirt gemeint und nicht anders, so sollte und wollte es verstanden werden. Nein, ausdrücklich nein: wir bieten keine „sumsen ist buper - schicken ist fön“-Produkte an. Aber da hatte ich die Rechnung ohne meine Exorzistin gemacht.

Die kommentierte nämlich augenblicklich beifallheischend in den anhängigen Thread, einen solchen Altmännerstammtischsexismus hätte sie nicht von mir erwartet. Alle meine folgenden Erläuterungsversuche liefen in‘s Leere, jedes Bemühen zur Dechiffrierung vergeblich: „dem Ochs in‘s Horn gepetzt“, wie der Rheinhesse in heimischem Idiom verlautbart, wenn es darum geht, ein Schaf zum Jagen zu tragen.

Welches Programm läuft im Kopf dieser Menschen ab. Und warum ist es auf keinen Fall aufzuhalten?

Zugegeben, ich habe möglicherweise schließlich patzig reagiert. Weil ich mich nicht festnageln lasse auf etwas, was so nicht gemeint war, wie es die Rezipientin gerne hätte. Nur, um dem eine unverdiente Satisfaktion zu bereiten.

Achtung: manche Zwei- und Mehrdeutigkeiten werden erst zu ebensolchen, wenn sie unbedingt als solche interpretiert werden wollen. Zu ungewünschten Eindeutigkeiten verwachsen sie dann, wenn der Empfänger sein konditioniertes Karo nicht verlassen kann oder will. 'Taktisches Fehlverstehen’ nennt man das. Eine blöde Masche. Kindergartenrhetorik. Freislermechanik.

Eindeutig zweideutig ist hingegen der Begriff 'übersehen'. Im Sinne von 'etwas nicht zu erkennen', aber eben auch im Sinne von „etwas ganzheitlich zu überblicken“. Im letzteren Sinne attestierte meine Kritikerin sich selbst ein erstaunliches Universalvermögen: natürlich kenne sie Weinproben und habe auch schon daran teilgehabt. Vielleicht am Rotkäppchen-Aktionsstand auf der Palettenfläche in ihrem Discounter? Allerdings versagt bei ihr die Befähigung zur Zweitdeutung, nämlich womöglich etwas 'übersehen' zu haben. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf?

Erst einmal angezündet, wollte sie sich jetzt ihre Forderung nach Pranger und Schandgeige nicht mehr nehmen lassen.

Allein ein Ablass hätte noch helfen können: eine sofortige, persönliche Entschuldigung in allen Kanälen, ein klardeutiger Widerruf und eine Löschung des Beitrags. Sonst …

„Drohst du mir?“ „Nein, aber du wirst schon sehen …“

Dreht sich die Sonne wirklich um die Erde, nur weil da jemand aufstampft wie der Großinquisitor Serristori vor Galileo Galilei oder das verzogene Einzelblag auf Nachbars Kindergeburtstag? Wohl kaum. Gelöscht habe ich dennoch, weil ich diesen kleingeistigen und engherzigen Mist nicht mehr ertragen kann. Mir ist es das nicht wert. Und auch ein Telefonat habe ich angeboten. Doch da war bereits alles: „zu spät“.

Der Käfig stand schon offen, die Meute war los, wie ich dann durch Dritte erfuhr. „Notgeiler, alter Sack“, „kein Wunder findet der keine Frau“ oder „alle Frauen laufen ihm weg (wie denn jetzt?), „kurzer Pimmel“ (Ich dachte bodyshaming ist total unfair und politisch inkorrekt? ), „AfD-Sympathisant“ (warum nicht gleich Nazi?), „Schwachnacken“, „der hat doch schon immer …“, „das ganze Profil ist voll davon“ (echt jetzt?) und noch einiges mehr, in Teilen ganz sicher justiziabel. Die Screenshots sind auf Platte, ich behalte mir das vor. Ich habe diese Mätzchen satt.

Nur wenige widersprechen und die werden augenblicklich in Sippenhaft genommen oder gleich ganz ausgeschleift. Die Inquisition tobt. Verrückt. Am Ende ist es doch pathologisch?

„Alte Bekannte“, die „üblichen Verdächtigen“ werden endlich gratismustig ihr „wollte ich immer schon mal sagen“ los, ein paar traurige Überständer trachten quälend zu gefallen und möchten sich mit maskulinem Imponierschmuck aus markigen Floskeln präsentieren. Ganze Kerle. Virtuell auf jeden Fall. Vor einer Moralkommission, die nun auch Solidaritätsadressen empfängt: „Wir Frauen halten zusammen“ (eine solche Vereinnahmung wird vermutlich nicht allen Geschlechtsgenossinnen gefallen), „Du bist nicht allein!“ … ja, zumindest darin bin ich mir ganz sicher: spätestens seit Facebook ahne ich, dass sich für wirklich jeden Fetisch wenigstens ein Interessensgleicher finden sollte. Und ist die Nummer noch so abersinnig, geht es darum anderen zu schaden, werden sie schnell Legion. Oder eher ’Legionellen’.

Der Tipp: „Bruno, du kannst hier nicht gewinnen. Du glaubst, Du kannst Social Media, dabei übersiehst du aber aus irgendwelchen Gründen den Zeitgeist, Daten und Trends- versuch da lieber mit einem demütigen "lesson learned" post, Schadensbegrenzung zu machen.“

Gewinnen? Was gibt es denn da zu gewinnen? Außer der Einsicht, dass manchen Menschen und ihren willfährigen Adoranten offenkundig nicht mehr zu helfen ist.

Wenn im Zeitgeist Realitätsverkrümmung zur Selbstbehauptung und Deutungshoheit werden will, kann ich getrost darauf verzichten.

Warum ich das alles aufschreibe? Eigentlich eher für mich als für Euch. Es geht um ein Ordnen und Einordnen. Gedanken sortieren und Verhältnisse und ein Fazit zu ziehen:

Lasst mich in Ruhe Ihr Spinner, geht ab.

Aber bitte ohne dramatic exit. Danke.

Bruno SchulzComment