„Wann hast du zuletzt Bettwäsche bei Google gesucht?“

Der Dennis und ich unterhalten uns über den Sinn von SEO und SEA. Und über den Unsinn, den zahllose Marketingheißluftdüsen dazu ausbreiten, um sich an der Naivität noch zahlreicherer Unternehmensverantwortlicher schamlos zu bedienen.

Hic sunt dracones: „hier sind Drachen“ stand auf alten Seekarten zur hypothetischen Warnung, wenn man in unbekanntes Terrain vordrang.

Der Wirkungsgrad von Suchmaschinen und deren Beeinflussung sind ein merkwürdiges Themenfeld, in dem Myriaden von Jahrmarktschreiern durch ständiges gegenseitiges Referenzieren bizarrer Messgrößen und die Aufzeichnung absurder Entscheidungsprozesse und eines vorgeblich immergleichen Kaufverhaltens quacksalbergleich einen bedrohlichen Blick in die wirtschaftliche Apokalypse anbieten und zugleich ein Allwirksamkeit versprechendes Allheilmittel als kostspieligen und zeitaufwendigen Ausweg offerieren. Geisteraustreibung per Fetisch. Ein weiterer Ablass, mit dem sich manche Marketingentscheidende aus ihrer Verantwortung herauskaufen zu können glauben.

Aber was zum Teufel hat das jetzt genau mit der Suche nach der Bettwäsche zu tun?

Salopp resümiert, greift „SEO“ die Gesamtheit der Strategien und Methoden zur Verbesserung der Auffindbarkeit in Suchmaschinen. Die Abkürzung „SEO“ steht für den englischen Begriff “Search Engine Optimization”. Es geht darum, die eigenen Inhalte als prominentere Suchergebnisse präsentieren zu lassen.

Ebenso knapp, steht „SEA“ als „Search Engine Advertising“ für Werbung in Suchmaschinen, also das Bezahlen für die prominentere Suchergebnisposition.

Beidem zugrunde liegt die Annahme, dass sich Konsumenten ständig auf der Suche befänden nach den vermeintlich raren Gelegenheiten, ihr Bestes in Schubkarren aus dem Haus zu fahren, um es an den elektronischen Handelsplätzen gegen Schnick und Schnack einzutauschen. Echt jetzt?

Aber: gibt es tatsächlich ein Finden ohne Suche? Und was bedeuten gesättigte Märkte heute für Konsumprozesse? Was bedeuten eingeschliffene Konsumroutinen?

„Wann hast du zuletzt Bettwäsche bei Google gesucht?“

Nein, es geht hier nicht um erratische Anekdoten zwecks Demontage der Sinnhaftigkeit von Suchmaschinen. Das wäre lächerlich. Aber um die Differenzierung von Konsumentscheidungen im Prozess.

Um unsere Diskussion über den Sinn und Unsinn der vielen „wohlmeinenden“ Angebote um die gewerbliche Optimierung von Webseiten und Shops für Suchmaschinen realistisch zu vergegenständlichen, suchen wir ein konkretes Rollenspiel. Wir unterstellen, der Dennis sei Inhaber eines KNU. „Was hast du konkret anzubieten?“ frage ich ihn und der Dennis meint spontan: „Bettwäsche.“ Ich will die Motivation des Reflexes nicht hinterfragen, aber diesen dennoch inhaltlich einordnen: „was für Bettwäsche?“ „Designbettwäsche, gute Qualität.“ „Wann hast du zuletzt Bettwäsche gekauft?“ „Das ist noch gar nicht solange her.“ „Weil du dringenden Bedarf hattest? Die alte war durchgescheuert?“ „Haha, sehr witzig! Nein, weil mir in meinen Newsstreams Vorschläge gemacht wurden dazu. Facebook, Insta, TikTok.“

Es geht also nicht selten um den Impuls. Was soll ich suchen, wenn ich noch gar nicht ahne, dass ich es vielleicht haben wollte. Das ist das Dilemma gesättigter Märkte und von Gesellschaften, die fast schon alles haben, außer vielleicht den Abschlepp- oder Schlüsseldienst oder den Scheidungsanwalt in der Not. Seltene Augenblicke von Dringlichkeit.

Gewöhnliche Leute, keine Sammlerfreaks, werden ihr fünftes Paar Sneaker selten aktiv suchen, weil sie unglaublich dringend einen Bedarf zu decken hätten. Sie lassen sich lieber „inspirieren“, zum Konsum verführen. Die häufigsten Sucheingaben sind heute vielmehr die konkreten Fragen nach der Telefonnummer des eigenen Zahnarztes oder den überlebensnotwendigen Öffnungszeiten des Lieblingsitalieners. Wer gibt schon „Turnschuh“ ein und warum?

Blasphemie?

Sind SEO und SEA also Quatsch? Nein! Auf keinen Fall. Aber sie sind eben auch keine Allzweckwaffe, wie manche suggerieren möchten. Sie sind tatsächlich kostspielig und aufwendig und sollten ins Verhältnis gesetzt werden zu den erwartbaren Erfolgen. Die ließen sich ja messen und man muss sich nicht auf Kaffeesatzleserei oder die esoterische Qualmdeutung indianischer Ohrenkerzen verlassen.

Ja, Webseite und -shop sind wichtig, wichtiger als je zuvor. Aber wie arrogant und eitel kann man sein anzunehmen, selbst ernsthaft gesucht zu werden?

Blicken wir doch einfach mal auf die SEO-Optimierer und SEA-Profis selbst. Verlassen die sich ernsthaft darauf, bei Google „gefunden“ zu werden? Hahaha! Die meisten Unternehmen ahnen ja nicht einmal derer Notwendigkeit. Also? Sie bemühen sich, Handlungsimpulse auszubreiten. Und das wäre dann auch schon das wichtigste Learning an der ganzen Nummer: „was sagst du wem, wo, wann und wie und was soll der für dich tun?“

Genau darum geht es. Um echte, „aktive“ Sichtbarkeit und Awareness.

Bruno SchulzComment