Religion: Carspotting.

Religion: Carspotting.

In den letzten Tagen wurden mir wiederholt Reels in meine Timeline gespült, die eine so privilegierte wie peinliche Kaste Menschen präsentieren, die inflationär mit ihren sündteuren PS-Boliden den Place du Casino von Monaco bevölkern, als wären sie die Piloten schillernder Schmeißfliegen auf dem Scheißhaufen.

Ihr Verlassen der blechernen Selbstwertkorseletts ist dabei weniger ein Aussteigen als ein Absitzen. Die stolzen Conducteure gerieren sich bei ihrem Einlauf (ein Hoch auf die Mehrsinnigkeit der Vokabel) und bereits geschmückt mit den Elaboraten der zeitgenössischen plastischen Chirurgie, wie der „rote Baron“ Manfred von Richthofen nach seinem sechzehnten von achtzig Abschüssen zur Übergabe des „pour le merite“ am 12. Januar 1917. Auch der stand namensgebend auf ein exzentrisch augenfälliges Exterieur.

Nur wird am Casino die Gratifikation eben an das Bodenpersonal verteilt für den scheinwürdigen, zeremoniellen Rahmen des Gliedvorzeigerdefilees. Nicht selten erreicht oder übersteigt der demonstrative Tip als Brosamen der Granden das komplette Urlaubsbudget ihrer verzückt videographierenden Adoranten.

Carspotting wirkt so absurd, weil es dem bloßen Beobachten und Fotografieren von Autos und ihrer Eigner eine nahezu religiöse Ernsthaftigkeit verleiht. Menschen, zumeist junge Männer, stehen stundenlang an Straßenrändern, um Blech auf vier Rädern abzulichten, als ginge es darum, sich Heiligenreliquien für alle Zeiten einzubrennen.

Carspotting ist ein Lackmustest der Kapitalismuskritik, weil es den Widerspruch zwischen ästhetischer Bewunderung und sozialer Ungleichheit exemplarisch offenlegt. Auf der einen Seite steht die oft hemmungslose Faszination für Statussymbole – glänzende Karosserien, PS-Zahlen, Markenfetischismus –, auf der anderen Seite die stille Akzeptanz oder gar Feier des Überflusses in einer Welt, in der Mobilität und Ressourcen immer ungleicher verteilt sind.

Wer beim Carspotting einen Bugatti in Monaco bejubelt, ohne sich zu fragen, was das nun eigentlich bedeutet – als Symbol des Exzesses, der Macht oder der sinnentleerten Repräsentation –, bestätigt unbewusst die Logik des Kapitals zwischen vermeintlichen Kausalitäten und bizarren Korrelationen.

Carspotting ist eine abstrakte Performance kapitalistischer Ästhetik, ohne jede kritische Distanz – ein glänzendes Abbild eines Systems, das es nie hinterfragt.

Mich erinnert das an die absurde Selbstverständlichkeit einer tranceartig selbstvergessenen Verehrung unverhältnismäßiger Wohlstandsdemonstrationen zu den Prozessionen der katholischen Kirche in den Armutsquartieren dieser Welt.

Guten Morgen.

Bruno SchulzComment