„selbst schuld“
Es ist wohl symptomatisch für die Positionierung unserer Gesellschaft, wie empathiearm, manierenfrei und zugleich kenntnislos im Thread zum Beitrag über den Drogentod eines jungen Menschen herumgedröhnt wird, um sich peinlich noch über den Elenden zu profilieren: „selbst gewählt, kein Mitleid“ … geht‘s noch?
Das Adjektiv „suchtkrank“ heisst so, weil jede „Sucht“ auch eine Erkrankung darstellt. Aber was will man von einer Gesellschaft erwarten, die kein gesundes Verhältnis zu Krankheiten entwickelt hat, was inzwischen soweit geht, dass sie diejenigen schlecht behandelt, missachtet und unterbezahlt, die auch noch bereit sind, sich professionell darum zu kümmern. Schämt Euch zu Dreck!
Jede Sucht ist eine Abhängigkeit, bei der der Körper oder die Psyche auf eine Substanz oder ein Verhalten angewiesen ist, ohne die sie nicht mehr halbwegs normal funktionieren: spritzen, qualmen, ziehen, saufen, fressen, zwanghaft Pornos konsumieren, daddeln, pimpern, Händewaschen, sogar Sport treiben ...
Die Ursachen sind vielfältig und können durch verschiedene Faktoren entstehen: genetische Veranlagung zum Beispiel, psychische Belastungen oder Labilität, soziale Umstände oder frühe Erfahrungen, Traumata, um nur ein paar wenige zu benennen.
Leute, die sich von alldem coram publico aus eigener Willenskraft freisprechen zu können glauben, halten vermutlich auch Krebserkrankungen für selbstverursacht, ein Hirngespinnst der Pharmaindustrie oder zumindest für eine Mangelerscheinung aus vernachlässigtem Perineum-Sunning, dem Trendbegriff für den Drang, der Sonne und aller Welt zu zeigen, was für ein Arschloch man hat und ist.
„Selbst schuld“ ist da als Beitrag in etwa so selbstentlarvend frei von Intelligenz, auch sozialer, als würde nan den Angehörigen eines Radfahrers nach dessen Unfalltod zeigefingernd selbstbesoffen vorhalten, der hätte ja gewusst, wie gefährlich der Straßenverkehr sei, in den er sich da freiwillig begeben habe, um darin umzukommen. Und das auch noch „gesund“, auch wenn manche Zeitgenossen selbstverständlich auch das unterschiedlich bewerteten.
Ich lasse die Abtwort offen: wie steht es wohl um eine Zivilisation, die nicht mehr gewillt ist, die Schwachen zu unterstützen?